Es
erstaunt schon, dass selbst der schweizerische Wissenschaftsrat aus dem arg
strapazierten Begriff der Chancengleichheit die Forderung ableitet, man müsste
die Kinder möglichst früh schon darauf vorbereiten, dass sie bei Schuleintritt
alle die gleichen Startchancen hätten. Mit Recht stellt sich Walter Herzog dieFrage, ob Gleichheit überhaupt ein relevantes Kriterium für Gerechtigkeit sei(NZZ 29. 3. 19). Es gibt sehr wohl das Gerechtigkeitsprinzip «jedem das
Gleiche». Die Kinder achten sehr darauf, ob zum Beispiel eine Torte in gleich
grosse Stücke geteilt wird. Sie haben ein feines Gespür, ob ein Lehrer allen
Schülern gleich viel Aufmerksamkeit schenkt und niemanden bevorzugt. Wird
dieses Prinzip aber derart umgesetzt, dass möglichst früh auf Förderung und
Beschulung gesetzt wird, was dann bald einmal einer Abrichtung entspricht, dann
ist dieses Prinzip verfehlt. Gerechtigkeit auf höherer Stufe – und das müssen
Kinder und zuweilen auch noch Erwachsene erst lernen – bedeutet nämlich: jedem
das Seine. Weil die individuellen Unterschiede hinsichtlich Begabung,
Entwicklungsstand und milieubedingter Voraussetzungen bei Kindern gross sind,
ist es gerechter, wenn nicht alle über den gleichen Kamm geschert werden,
sondern auf ihre besondere Situation eingegangen wird. Wohin das Prinzip «jedem
das Gleiche» führt und schon geführt hat, können wir unschwer erkennen, seit
Kinder allzu früh eingeschult werden oder massiv überforderte Schüler zu spät
oder überhaupt nicht einen ihren Voraussetzungen gemässen, differenzierten
Unterricht erhalten.
NZZ, 10.4. Leserbrief von Peter Schmid
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