Margrit Stamm, es war nicht leicht, Eltern zu finden, die über die Gründe sprechen wollen, warum sie ihre Kinder an eine Privatschule schicken. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Ich teile die Eltern, die ihre Kinder an eine Privatschule schicken, in drei Gruppen ein: Zur ersten zählen Reiche und Expats. Sie haben keine Mühe, darüber zu reden. Bei vielen von ihnen hat Privatschule Tradition. Die zweite Gruppe besteht aus Eltern, die mehr aus ihren Kindern herausholen wollen und finden, dass die öffentliche Schule nicht dazu in der Lage ist. Und die dritte Gruppe sind diejenigen, deren Kinder in der öffentlichen Schule nicht klarkommen, die also Lösungen suchen müssen. Das sind in der Regel auch diejenigen, die nicht so gern in der Öffentlichkeit über die Schulsituation ihrer Kinder reden: Eltern aus dem Mittelstand, die, wie viele Schweizer, nicht auffallen möchten, die in ihrem Milieu zu Aussenseitern werden, wenn ihre Kinder eine Privatschule besuchen.
Wann ist ein Wechsel an eine Privatschule sinnvoll?
Wenn die Eltern merken, dass es ihrem Kind in der öffentlichen Schule nicht gut geht, dass es leidet und auch keine Besserung in Sicht ist. Die Gründe sind vielfältig: Über- und Unterforderung gehören dazu oder schwierige Beziehungen zu Lehrpersonen. In der Schweiz ist ein Wechsel in ein anderes Schulhaus nur selten und nur in grösseren Orten möglich. Für alle anderen ist die Privatschule praktisch die einzige Alternative – wenn sie es sich finanziell leisten können. Ich erachte Privatschulen als eine sinnvolle Ergänzung zur öffentlichen Schule:Sie gelten oft als innovativer und entwickeln eigene Profile. Allerdings sollten Privatschulen eine Ergänzung zur öffentlichen Schule bleiben.
Warum findet die öffentliche Schule so grosse Zustimmung?
Diese Zustimmung ist
historisch verankert. Die Volksschule gilt als das wichtigste integrative
Element in der Gesellschaft. Abstimmungen über die freie Schulwahl sind in
verschiedenen Kantonen auch deshalb haushoch gescheitert, weil die Bevölkerung
sich vor einer Ghettoisierung fürchtet, wie wir sie in England beobachten
können.
Gibt es Dinge, die Sie an der Volksschule kritisieren?
Die Volksschule gibt es
nicht – in der Schweiz existieren so viele unterschiedliche öffentliche
Schulen, von sehr dynamisch und innovativ bis hin zu sehr bewahrend. Ich
begrüsse es, wenn öffentliche Schulen ihre pädagogischen Leitideen den Eltern
und den Behörden gegenüber transparent machen und Grundsätze formulieren, wie
dies auch die Privatschulen tun. Doch bei all dem Formulieren und Umstrukturieren
darf man nie vergessen, wie wichtig die Lehrer-Schüler-Beziehung für ein erfolgreiches
Lernen ist. Ich würde sagen: das Wichtigste überhaupt.
Margrit
Stamm, emeritierte Professorin für Erziehungswissenschaften an der Universität
Freiburg; Direktorin des Forschungsinstituts Swiss Education, Bern
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