Chère Yael, ich habe Deine Meinung über das Lehrmittel für Französisch
«Mille Feuilles» in der «Volksstimme» gelesen und teile sie voll und ganz. Ich
freue mich, dass Du so offen darüber geschrieben hast. Félicitations! Es müsste
eigentlich «Bonjour Tristesse» heissen, denn es verlangt von den Lehrkräften
fast geniale pädagogische Fähigkeiten, wenn für Kinder etwas Vernünftiges
herausschauen soll.
"Bonjour Tristesse" statt "Mille Feuilles", Volksstimme, 12.5. Leserbrief von Thomas Schweizer
«Envol» kenne ich nur oberflächlich, aber es gab mal das
moderne Lehrmittel «Bonne Chance», didaktisch klug aufgebaut und von zwei Familien
in der Suisse romande erzählend, mit ganz normalen Alltagssituationen und
entsprechender Sprache «aus dem Leben gegriffen». Szenen, die sehr
kinderfreundlich aufgemacht waren und dennoch den grammatikalischen Aufbau, den
Sprachduktus und das Vocabulaire nicht vernachlässigend. Alles unabdingbar für
das Eintauchen in eine andere Sprache. Dazu gehört natürlich auch das
unerlässliche ständige Üben. Das ist heute nicht mehr so gefragt, weil mit
Arbeit und Durchhaltewille verbunden. Keine Ahnung, was Pädagogen bewogen hat,
dieses Lehrmittel wieder verschwinden zu lassen. Es waren undurchsichtige
Gründe, die ein einfacher Citoyen und ancien prof für Französisch wie ich halt
nicht begriffen habe. Ohnehin bin ich der Meinung, dass Fremdsprachen nur von
Fachlehrkräften mit mehrjähriger Ausbildung erteilt werden dürften. Alles
andere gehört ins Kapitel «Avanti dilettanti». Das ist Italienisch und keine
Fremdsprache, sondern eine weitere Landessprache. Wie Französisch auch. Darum
müssen wir unsere Landessprachen pflegen. Technokraten sagen uns zwar immer,
Englisch sei halt leichter und wichtiger. Beides stimmt nicht, denn die vielen
englischen Begriffe in unserem Alltag sind trügerisch, und Englisch wirst Du
später noch genug lernen können. Wichtig aber ist, dass jedes Deutschschweizer
Kind fähig sein muss, mindestens zwei Landessprachen (die Muttersprache Deutsch
und eine andere) verstehen und sprechen zu können. Auch im Fach Deutsch hapert
es oft. Und ob «Mille Feuilles» für Französisch geeignet ist? J’en doute. Liebe
Yael, ich habe selber drei Cousins in der Westschweiz, und meine Liebe zu
diesem Landesteil ist und bleibt ungebrochen hoch, so hoch wie der Jet d’eau à
Genève. Unser Land ist mit seiner Viersprachigkeit einfach einzigartig. Dieses
Kapital geben wir nie und nimmer preis. Lass Dir darum «la joie de vivre» durch
dieses Lehrmittel nicht vermiesen. «Impossible n ’est pas français.» Mach das
Beste draus und erfreue Dich quand même an unserer schönen französischen
Sprache. Sie ist für viele nicht ganz einfach, zugegeben, aber allen rufe ich
zu: «Du courage!»
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