19. April 2016

Schule als gesellschaftliche Vorhut

Wie verhalten sich muslimische Schüler im Klassenzimmer? Wo gibt es ­Probleme? S. L.* unterrichtet seit über dreissig Jahren an einer Oberstufenschule im Schweizer ­Mittelland und sagt, wie er mit der Islamisierung in der Schule umgeht.
"Wir müssen streng sein", Weltwoche 15/2016 von Christoph Mörgeli


Wurden Sie vom verweigerten Handschlag zweier Schüler in Therwil überrascht?
Nein, weil ich schon vor Jahren den ganzen Koran gelesen habe. Zudem war nach dem unlängst erfolgten Urteil des Bundes­gerichts gegen das Kopftuchverbot in St. Margrethen zu erwarten, dass weitere ­Ansprüche folgen. Die Lausanner Richter haben zwar seitenweise Präzedenzfälle ­zitiert; sie machen sich aber kaum Ge­danken über die konkreten Auswirkungen ­ihrer Entscheide in unserem Schulalltag. Ich habe den Bundesrichtern schriftlich meine Bedenken geschildert und darauf eine freundliche, aber völlig nichtssa­gende Antwort erhalten.
Lässt sich die Verweigerung des Handschlags durch den Koran begründen?
Ein nicht verheirateter Muslim darf keine Frau berühren. Bei uns ist der Handschlag selbstverständliches Zeichen des gegensei­tigen Respekts und der grundsätzlichen Friedfertigkeit; der Islam interpretiert ihn als Berührung einer Frau mit sexuellem ­Aspekt. Eine Liebesbeziehung für junge Muslime setzt aber gemäss Koran eine Heirat voraus, was wiederum mit Einkommen, Wohnung, Auto und so weiter verbunden sein muss. Das führt bei Jugendlichen zu enormen emotionalen und sexuellen Nöten.
Dann kommt es bei den Muslimen Ihrer Klasse zu keiner Annäherung zwischen Jungs und Mädchen?
Das kommt natürlich trotzdem vor. Eine Kosovarin besucht bei mir einen Wahlfachkurs. Ihre Motivation, habe ich bald herausgefunden, ist, dass sie in einen Schweizer Schüler verliebt ist. Sie weiss aber, dass ihr Vater ­diese Beziehung niemals dulden würde. Besonders bedenklich stimmt mich, dass ihre Klassenlehrerin wie selbstverständlich die Position des kosovarischen Vaters übernimmt und ihr die Liebe auszureden versucht. Vielleicht sogar mit Recht, denn wenn das Mädchen aufbegehrt, könnte das in letzter Konsequenz ihr Todesurteil bedeuten.
Werden Ihre muslimischen Schüler weiblichen Lehrkräften den Handschlag auch verweigern?
Noch ist es dazu nicht gekommen. Aber Therwil ist kein abgedichtetes Ereignis, ich fürchte, es handelt sich bei den beiden ­Söhnen des syrischen Imams nicht um extremistische Ausschläger, sondern vielmehr um Vorkämpfer für eine künftige Entwicklung mit unvorhersehbarem Ausgang. Nach dem Kopftuch-Urteil von St. Margrethen könnten ­übrigens auch Vertreter von Jugendkulturen wie die Hip-Hopper kommen und ­sagen: «Meine Religion heisst Hip-Hop, folglich lasse ich meine Kopfbedeckung im Unterricht an.»
Wie reagierten Ihre Kollegen im Lehrerzimmer zu den Vorfällen von Therwil?
Ganz einhellig negativ. So unterschiedlich sonst die politischen Meinungen sind, es herrscht hier nur eine Stimme. Auch die mehrheitlich linken Kolleginnen und ­Kollegen finden die Lizenz zur Handschlag-Verweigerung völlig daneben. Doch im Alltag herrscht viel Fatalismus und die Hoffnung, dass eine Integration irgendwie trotz allem gelingt.
Fühlen sich Ihre Berufskolleginnen ­speziell betroffen von der Verweigerung des Handschlags?
An der Oberstufe hat sich der weibliche Anteil im Lehrkörper stark vergrössert. Sechzig Prozent der Berufsanfänger auf ­Sekundarstufe sind Frauen. Dass sie sich aber zusätzlich betroffen fühlen von der ­diskriminierenden Handschlagverweigerung, könnte ich nicht sagen. Die jungen Kolleginnen sind relativ unbekümmert und sorglos, was ich ihnen gerne gönne, auch wenn ich nicht gleich empfinde.
Haben Sie das Thema «Handschlag» in ­Ihrer Klasse thematisiert?
Ich habe es kurz angesprochen. Meine ­muslimischen Schülerinnen und Schüler unterscheiden sich kleidungsmässig nicht von den andern. Sie meinten, sie könnten mit dem Therwiler Vorfall nichts anfangen. Ganz im Unterschied zum Massaker bei Charlie Hebdo in Paris. Zu meinem Erschrecken fanden sieben von acht meiner muslimischen Schülerinnen und Schüler diese «Rache» für die angebliche Beleidigung des Propheten völlig in Ordnung.

Wie fanden die Familien Ihrer muslimischen Schüler den Weg in die Schweiz?
Es handelt sich überwiegend um Arbeitsmigranten der neunziger Jahre, nicht um Asylbewerber. Teilweise habe ich schon die Eltern der heutigen Kinder unterrichtet. Denn die Generationenfolge bei den ­Muslimen liegt bei gut zwanzig Jahren, sie läuft wesentlich rascher ab als bei uns Schweizern.
Sind Religionsdiskussionen ein Thema in Ihren Stunden?
Ich habe schon das Gespräch über Inhalte des Korans gesucht. Es herrscht die totale Unkenntnis. Ein gläubiger Muslim darf den Koran nur auf Hocharabisch lesen, nicht ­etwa in einer kosovarischen oder türkischen Übersetzung. Darum ist die Auslegung durch die Prediger in den Moscheen so ­zentral – und teilweise so gefährlich.
Sind Ihre muslimischen Schüler gläubig?
Zumindest nehmen sie die Regeln ihrer ­Religion sehr ernst. Sie essen kein Schweinefleisch, befolgen die Ramadan-Vorschriften, und Alkohol ist tabu. Bei einer Bergtour während des Ramadans musste ich einen ­geschwächten Schüler praktisch zur Aufnahme von Flüssigkeit zwingen. Das Gebet ist aber kein Thema, auch die Forderung nach einem Gebetsraum ist noch nie auf­gekommen.
Wie gehen die Muslime Ihrer Klasse mit den Mädchen um?
Ausgesprochen machohaft. Sie lassen die Mädchen gewissermassen nach ihrem Willen tanzen. Und die Mädchen scheinen sich dem willig zu unterziehen. Die oft entwertende Sprache der muslimischen Jungs wird von den Mädchen und auch von den Schweizern übernommen. Wörter wie «Schlampe», «Nutte», «Hurensohn» oder «Wixer» sind inzwischen auch im Schulzimmer selbst­verständlich.
Gibt es Spannungen zwischen muslimischen und nichtmuslimischen Kindern?
Wenn die Schweizer hoffnungslos in der Minderheit sind, fühlen sie sich unwohl. Ich hatte deswegen schon Abmeldungen fürs Klassenlager. Weit intensiver erlebe ich aber die Spannung zwischen einem Alawiten und einem Sunniten mit türkischer Herkunft. Die Gehässigkeiten finden an den Elternabenden bei den Eltern ihre Fortsetzung.
Finden die jungen Muslime Lehrstellen?
Meistens ja, weil das Angebot grösser ist als die Nachfrage. Die schulische Leistung der Muslime, die ich sehr gerne mag und auch zu fördern versuche, ist oft ungenügend. Ich sehe da durchaus einen Zusammenhang mit ihrer Religion, die Unterwerfung fordert und den Intellekt kaum anspricht. Dennoch sind Muslime bei der Lehrstellensuche sehr wählerisch. Sie möchten viel Geld verdienen und möglichst nicht mit den Händen arbeiten. Das betrachte ich als Riesenproblem bei den Anreizen unseres Asylsystems: Asyl­bewerber erhalten viel Geld, ohne eine Leistung erbringen zu müssen.
Können wir längerfristig unsere Werte ­vermitteln?
Ich stelle immerhin fest, dass die Gewalt ­unter den Jugendlichen in den letzten Jahrzehnten nicht zugenommen hat. Ein ­Wandel in den Köpfen ist viel schwerer zu ­erreichen. In den Klassenzimmern der Sek B und C erleben wir bezüglich Islamisierung jetzt schon, was zwangsläufig auf unsere ­gesamte Gesellschaft zukommt: Der Islam wird unsere abendländische Gesellschaft ­integrieren – nicht umgekehrt.
Dann ist eine Integration unmöglich?
Ich fürchte, in unseren Schulzimmern ist es zumindest äusserst schwierig. Nur schon aufgrund der nackten Zahlen. Hier spielt sich heute schon ab, womit das ganze Land in einigen Jahren voll konfrontiert wird. Wir sprechen dann nicht mehr von einem ­Zusammenprall der Kulturen. Vielmehr werden sich die Schweizer ab Mitte dieses Jahrhunderts irgendwie unter einer muslimischen Mehrheit einrichten müssen.
Können wir überhaupt etwas tun?
Wir müssen streng sein. Und strikt die Werte unserer Gesellschaftsordnung durchsetzen. Wir hätten durchaus auch in den Schulen die entsprechenden Regeln. Aber sie brechen zusammen, wenn uns opportunistische ­Politiker, weltfremde Richter oder eine ­zerberstende EU in den Rücken fallen.
* Name der Redaktion bekannt.


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