Ein
verweigerter Handschlag zweier Jugendlicher, eine Vereinbarung, die übliche mediale Erregung und zahlreiche
Erklärungen von Islamexperten, Frauenrechtlerinnen, kantonalen
Erziehungsdirektoren, ja sogar einer Bundesrätin sorgten wieder einmal für eine
deftige Islamdebatte.
Ahmed gab mir immer die Hand, Bieler Tagblatt, 18.4. von Alain Pichard
Ahmed* hat
mir immer die Hand gegeben. Er hat mir sogar mehr die Hand gegeben als andere
Schüler meiner Klasse. Seine Geschichte ist aber interessanter und vor allem
symptomatischer.
Ahmed ist der
Sohn von Aysche*, die im zarten Alter von 9 Jahren in den 80ger Jahren nach
Orpund in die Schule kam. Da sie ein sehr lernwilliges Mädchen und überdies
auch die einzige Fremdsprachige weit und breit war, lernte sie die deutsche
Sprache rasch und so gut, dass sie nach der Schule eine Lehre als
Apothekerhelferin machen konnte, was damals als eher anspruchsvolle
Berufsausbildung galt.
Nach dem
erfolgreichen Abschluss ihrer Lehre heiratete sie einen Mann aus ihrem Dorf in
der Türkei und zog nach Biel. Der Mann hatte seine religiösen Prinzipien und
Aysche gab ihren Job auf, bekam einen Sohn, dann noch einen und schliesslich
einen dritten. Ihr Mann sprach kein Deutsch, fand keinen Job und heute lebt die
ganze Familie von der Sozialhilfe.
Als Ahmed
eingeschult wurde, sprach er kein einziges Wort Deutsch. Damit war seine
Schulkarriere vorprogrammiert. Er landete in einer Bieler Realklasse, die 100%
aus Schülern bestand, die zu Hause kein Deutsch sprachen. Er erhielt zwar
dreimal so viele Stützlektionen wie seine Mutter, die auch heute noch perfekt
Deutsch spricht, aber sein Lernzuwachs hielt sich in bescheidenen Grenzen. In
der 8. Klasse begann er zu kompensieren, das heisst, er verprügelte mit einer
Gang andere Schüler, machte kaum noch Aufgaben und landete schliesslich bei
mir. Wir konnten es recht gut miteinander. In den letzten Monaten, die er noch
in der Schule war, versuchte er, seine Defizite aufzuholen. Danach folgte ein
10. Schuljahr und dann ein Integrationsprogramm.
Einen
Handschlag zu verweigern, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Nicht nur, weil
ich ein Mann war. Er wusste, dass er einen Lehrer vor sich hatte, der sich für
ihn interessierte. Hätte er mit solchen Spässchen angefangen, wäre ich eingefroren.
Kein „ich will, dass du das kannst“, keine Zeit nach der Schule, in welchem ich
ihm die proportionale Zuordnung noch einmal erklärte.
Sie treiben
es schon manchmal bunt, unsere muslimischen Fundis, welche Regeln für den
Alltag aus einem Buch herleiten, das Menschen vor über tausend Jahren
geschrieben haben. Kopftuch, kein Schweinefleisch in der Hauswirtschaft, Halali-Fleisch
im Lager, kein Schwimmunterricht, ein Gebetsraum in der Schule, ein „Früheres
aus der Schule gehen“, damit das Freitagsgebet nicht verpasst wird,
Lagerdispensationen, Ramadanfeiern, die Liste der Wünsche ist lang und – das
ist ein Erfahrungswert – je länger die Liste, desto geringer der Schulerfolg.
Womit wir beim eigentlichen Problem wären. Denn Ahmed ist kein Einzelfall.
Menschen
kommen zu uns, weil sie eine Perspektive suchen. Und die meisten erkennen die
Chancen, die dieses einmalige Land ihnen bietet. Andere aber wollen genau so
leben wie dort, woher sie gekommen sind. Aus Wirtschaftsflüchtlingen werden so
Versorgungsflüchtlinge, denn auch das bietet unser Land. Verlässliche Gesetze,
die für einen Staat sorgen, in welchem niemand fallen gelassen wird und der zudem
für die Konsequenzen dieser Lebenseinstellung aufkommt. Handschlag hin oder
her. Fragt sich noch, wie lange.
*Namen geändert
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen