19. April 2016

Abneigung gegen Französisch wird gefördert

Der Lehrplan 21 hat bis anhin nur mit seinen sogenannten Kompetenzen zu reden gegeben. Mit der aktuellen Vernehmlassung der Zürcher Bildungsdirektion geht es nun aber ans Eingemachte, nämlich die Lektionentafel der Schule. Wir diskutieren jetzt nicht mehr darüber, ob ein Schüler seine eigenen Gefühle wahrnehmen kann und wir Lehrpersonen dies auch noch benoten müssen, sondern wie viele Französisch- oder Englischlektionen wir dereinst unterrichten werden. Französisch erfährt mit dem Lehrplan 21 auf der Oberstufe leider fast einen Kahlschlag: Neu sollen nur noch drei Lektionen Französisch unterrichtet werden, und zwar von der 7. bis zur 9. Klasse. Bei bisher vier Wochenlektionen entspricht dies einer Reduktion von 25 Prozent.
Der schleichende Abbau von Französisch, Politblog Tages Anzeiger, 19.4. von Patrick Hersiczky 


Als Französischlehrer auf der Oberstufe kann ich dem nicht zustimmen. Immerhin wird das Frühfranzösisch auf der Primarstufe mit mehr Lektionen gestärkt. Diese Verschiebung der Anzahl Lektionen widerspricht aber etlichen Studien: Seit Einführung des Frühfranzösischen sind die Sprachkenntnisse der Schüler nicht besser geworden. In meinem Schulalltag stelle ich fest, dass für zwei Jahre Französischunterricht wenig an sprachlicher Kompetenz vorhanden ist. Ein Problem ist sicher, dass Französisch in der Primarschule nicht den Stellenwert von Mathematik oder Deutsch hat. Zudem werden die Primarschüler in den zwei Wochenlektionen Französisch nicht in Leistungsgruppen unterrichtet, wie das auf der Sekundarstufe der Fall ist. Und alle Primarlehrpersonen mögen mir bitte nun verzeihen: Selbst der renommierte Kinderpsychologe Remo Largo hat seine Zweifel, dass sich mit ein paar Gedichten oder Liedern auf Französisch die Sprachkompetenz von Primarschülern verbessert.

Ich bin deshalb nicht überrascht, dass gewisse Kantone wie etwa der Thurgau das Französisch auf der Primarstufe wieder abschaffen möchten. Im Kanton Zürich ist eine Initiative hängig, die ebenso die Fremdsprachen aus den Schulstuben der Fünft- und Sechstklässler verbannen will. Auch in anderen Kanton wie etwa Graubünden oder Nidwalden gibt es politische Vorstösse gegen den frühen Fremdsprachenerwerb.
Gewiss, es gibt Primarschüler, die dank Fremdsprachenunterricht mehr können und profitiert haben. Dennoch wage ich die ketzerische These: Bei vielen Kindern wird damit eher das Label der wohl meistgehassten Landesprache zementiert. Kommt dazu, dass eine gewisse Abneigung gegenüber der welschen Sprache schon mit der Muttermilch aufgesogen wird. Ich kenne einige Eltern, die die schlechten Leistungen ihrer Kinder mit einem «Ich habe Franz in der Schule auch nicht gemocht» quittieren. Mit dem verfrühten Fremdsprachenlernen wird vor allem die Abneigung gegenüber dem Französischen vermittelt. Dies ist bestimmt nicht den Primarlehrpersonen anzulasten, sondern den euphorischen Bildungspolitikern, die glaubten: je früher, desto besser! Leider marschierte die Weiterbildung der Lehrpersonen in einem gemächlicheren Tempo als die Politik, die in dieser Hinsicht für einmal nicht lethargisch war. Turbobildungspolitiker Ernst Buschor lässt grüssen.

An der Gymipfrüfung ist Französisch aber immer noch die einzige Fremdsprache, die getestet wird. Ich befürchte, dass mit dem Lehrplan 21 ein schleichender Abbau des Französischen einhergeht. Irgendwann wird man diskutieren, ob es noch zeitgemäss sei, dass für den Eintritt in eine Mittelschule Englisch nicht wichtiger als Französisch sein könnte. Seit 2015 wird Französisch an der Aufnahmeprüfung sogar nur noch zu 20 Prozent gewichtet. Früher machte dieses Fach immerhin ein Drittel der Gymiprüfung aus.
Ein klares Indiz dafür, wie sehr sich der Stellenwert des Schulfranzösisch in den letzten Jahren verändert hat, sind die Studierenden der Pädagogischen Hochschule: Ich habe kaum noch Studierende in meinem Unterricht, die auf Französisch die Schönheiten von Paris (la ville d’amour) erklären. Dagegen sind die angehenden Lehrpersonen zahlreich, die mit ihren USA-Aufenthalten protzen. Ja, über die Golden Gate Bridge von San Francisco zu erzählen, ist leider attraktiver, als über die Pont Neuf oder eine andere Brücke in Paris, die unter der Last von Liebesschlössern bald in der Seine versinkt.

Französisch gehört klar auf die Oberstufe, auch wenn die Bildungspolitiker beim Lehrplan 21 wegen Einführung neuer Fächer wie Medien/Informatik oder Berufswahl die ganze Stundenplantafel überarbeiten müssen. Doch warum gerade Französisch? Der Projektunterricht, den man erst kürzlich für das neu gestaltete 9. Schuljahr eingeführt hat, erfährt auch einen Kahlschlag um ein Drittel der Lektionen. In diesem zwar wichtigen Fach lernen Schüler selbstständig ein Projekt zu entwickeln. Es wird aber dermassen reduziert, dass man gleich über die Abschaffung diskutieren kann. Denn: Das selbstständige Lernen ist leider nicht jedem Sekschüler in die Wiege gelegt und verkommt bei gewissen Jugendlichen zum liebsten Fach, weil sie nicht nur selbstständig arbeiten, sondern vor allem chillen können.

Das ursprüngliche Ziel des Lehrplans 21 ist leider aus den Diskussionen verschwunden: die Harmonisierung der Schweizer Schule. Die vorgeschlagene Lektionentafel verursacht einen Qualitätsabbau einer Landessprache. Immerhin: Auch die bald fünfte Landessprache, die jenseits des grossen Teichs gesprochen wird, ist betroffen. Auch im Englisch wird es eine Lektionenreduktion auf der Oberstufe geben – zugunsten von Naturwissenschaften und Informatik. Bei der nächsten internationalen Studie zur Schulqualität reden wir wahrscheinlich nicht mehr von einem Pisa-, sondern von einem Babylonschock.


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