Der Lehrplan 21 hat bis anhin nur mit
seinen sogenannten Kompetenzen zu reden gegeben. Mit der aktuellen
Vernehmlassung der Zürcher Bildungsdirektion geht es nun aber ans Eingemachte,
nämlich die Lektionentafel der Schule. Wir diskutieren jetzt nicht mehr
darüber, ob ein Schüler seine eigenen Gefühle wahrnehmen kann und wir
Lehrpersonen dies auch noch benoten müssen, sondern wie viele Französisch- oder
Englischlektionen wir dereinst unterrichten werden. Französisch
erfährt mit dem Lehrplan 21 auf der Oberstufe leider fast einen Kahlschlag: Neu sollen nur noch drei Lektionen
Französisch unterrichtet werden, und zwar von der 7. bis zur 9. Klasse. Bei
bisher vier Wochenlektionen entspricht dies einer Reduktion von 25 Prozent.
Der schleichende Abbau von Französisch, Politblog Tages Anzeiger, 19.4. von Patrick Hersiczky
Als
Französischlehrer auf der Oberstufe kann ich dem nicht zustimmen. Immerhin wird
das Frühfranzösisch auf der Primarstufe mit mehr Lektionen gestärkt. Diese
Verschiebung der Anzahl Lektionen widerspricht aber etlichen Studien: Seit
Einführung des Frühfranzösischen sind die Sprachkenntnisse der Schüler nicht
besser geworden. In meinem Schulalltag stelle ich fest, dass für zwei Jahre
Französischunterricht wenig an sprachlicher Kompetenz
vorhanden ist.
Ein Problem ist sicher, dass Französisch in der Primarschule nicht den
Stellenwert von Mathematik oder Deutsch hat. Zudem werden die Primarschüler in
den zwei Wochenlektionen Französisch nicht in Leistungsgruppen unterrichtet,
wie das auf der Sekundarstufe der Fall ist. Und alle Primarlehrpersonen mögen
mir bitte nun verzeihen: Selbst der renommierte Kinderpsychologe Remo Largo hat seine Zweifel, dass sich
mit ein paar Gedichten oder Liedern auf Französisch die Sprachkompetenz von
Primarschülern verbessert.
Ich bin
deshalb nicht überrascht, dass gewisse Kantone wie etwa der Thurgau das
Französisch auf der Primarstufe wieder abschaffen möchten.
Im Kanton Zürich ist eine Initiative hängig, die ebenso die
Fremdsprachen aus den Schulstuben der Fünft- und Sechstklässler verbannen will.
Auch in anderen Kanton wie etwa Graubünden oder Nidwalden gibt es politische
Vorstösse gegen den frühen Fremdsprachenerwerb.
Gewiss, es
gibt Primarschüler, die dank Fremdsprachenunterricht mehr können und profitiert
haben. Dennoch wage ich die ketzerische These: Bei
vielen Kindern wird damit eher das Label der wohl meistgehassten Landesprache
zementiert. Kommt
dazu, dass eine gewisse Abneigung gegenüber der welschen Sprache schon mit der
Muttermilch aufgesogen wird. Ich kenne einige Eltern, die die schlechten
Leistungen ihrer Kinder mit einem «Ich habe Franz in der Schule auch nicht
gemocht» quittieren. Mit dem verfrühten Fremdsprachenlernen wird vor allem die
Abneigung gegenüber dem Französischen vermittelt. Dies ist bestimmt nicht den
Primarlehrpersonen anzulasten, sondern den euphorischen Bildungspolitikern, die
glaubten: je früher, desto besser! Leider marschierte die Weiterbildung der
Lehrpersonen in einem gemächlicheren Tempo als die Politik, die in dieser
Hinsicht für einmal nicht lethargisch war. Turbobildungspolitiker Ernst Buschor
lässt grüssen.
An der
Gymipfrüfung ist Französisch aber immer noch die einzige Fremdsprache, die
getestet wird. Ich befürchte, dass mit dem Lehrplan 21 ein
schleichender Abbau des Französischen einhergeht. Irgendwann wird man
diskutieren, ob es noch zeitgemäss sei, dass für den Eintritt in eine
Mittelschule Englisch nicht wichtiger als Französisch sein könnte. Seit 2015
wird Französisch an der Aufnahmeprüfung sogar nur noch zu 20 Prozent gewichtet.
Früher machte dieses Fach immerhin ein Drittel der Gymiprüfung aus.
Ein klares
Indiz dafür, wie sehr sich der Stellenwert des Schulfranzösisch in den letzten
Jahren verändert hat, sind die Studierenden der Pädagogischen Hochschule: Ich
habe kaum noch Studierende in meinem Unterricht, die auf Französisch die
Schönheiten von Paris (la ville d’amour) erklären. Dagegen sind die angehenden
Lehrpersonen zahlreich, die mit ihren USA-Aufenthalten protzen. Ja, über
die Golden Gate Bridge von San Francisco zu erzählen, ist leider attraktiver,
als über die Pont Neuf oder
eine andere Brücke in Paris, die unter der Last von Liebesschlössern bald in
der Seine versinkt.
Französisch
gehört klar auf die Oberstufe, auch wenn die Bildungspolitiker beim Lehrplan 21
wegen Einführung neuer Fächer wie Medien/Informatik oder Berufswahl die ganze
Stundenplantafel überarbeiten müssen. Doch warum gerade Französisch? Der
Projektunterricht, den man erst kürzlich für das neu gestaltete 9. Schuljahr
eingeführt hat, erfährt auch einen Kahlschlag um ein Drittel der Lektionen. In
diesem zwar wichtigen Fach lernen Schüler selbstständig ein Projekt zu
entwickeln. Es wird aber dermassen reduziert, dass man gleich über die
Abschaffung diskutieren kann. Denn: Das selbstständige Lernen ist leider
nicht jedem Sekschüler in die Wiege gelegt und verkommt bei gewissen Jugendlichen
zum liebsten Fach, weil sie nicht nur selbstständig arbeiten, sondern vor allem
chillen können.
Das
ursprüngliche Ziel des Lehrplans 21 ist leider aus den Diskussionen
verschwunden: die Harmonisierung der Schweizer Schule. Die vorgeschlagene
Lektionentafel verursacht einen Qualitätsabbau einer Landessprache. Immerhin:
Auch die bald fünfte Landessprache, die jenseits des grossen Teichs gesprochen
wird, ist betroffen. Auch im Englisch wird es eine Lektionenreduktion auf der
Oberstufe geben – zugunsten von Naturwissenschaften und Informatik. Bei der
nächsten internationalen Studie zur Schulqualität reden
wir wahrscheinlich nicht mehr von einem Pisa-, sondern von einem Babylonschock.
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