LVB fordert eine tabulose Kosten-Nutzen-Analyse von Bildungsreformen, Bild: Nils Fisch
Baselbieter Lehrer bezeichnen Lehrplan 21 als "Burnout-Programm", Tages Woche, 19.3. von Lucas Huber
Das Verabschieden von Resolutionen hat eine lange Tradition an den
Versammlungen des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland (LVB). Das sei keine
Vereinsfolklore, sagte Vereinspräsident Roger von Wartburg, sondern
erfolgreiches Mittel zum Zweck. Immerhin habe man dank dieses Mittels kürzlich
einen Beitrag von 2,6 Millionen Franken aus dem Harmos-Topf für die Fortbildung
von Pädagogen zugesprochen bekommen.
Auch am Mittwochabend, an der Delegiertenversammlung des LVB in Muttenz,
reckten sich die Stimmkarten in die Höhe, als es darum ging, per Resolution auf
die Leiden der Lehrkräfte aufmerksam zu machen. «Keine weitere Verschlechterung
der Anstellungsbedingungen» fordern sie da – mit Ausrufezeichen. Und: «Ein
Moratorium für Bildungsreformen als Beginn einer Phase der Konsolidierung und
einer Kosten-Nutzen-Analyse», ebenfalls mit Ausrufezeichen. Präsident von
Wartburg fügte noch «tabulos» hinzu.
Schulreformen «zu viel des
Guten»
Genau diese «tabulose Kosten-Nutzen-Analyse» steht ganz oben auf dem
Wunschzettel des LVB. Der hält nämlich die Schulreformen für «zu viel des
Guten» und die Lehrkräfte für die Leidtragenden. Aufgrund nicht gewährter Teuerungsausgleiche
sei ihnen seit 1998 ein Lohnverzicht von fast 170 Millionen Franken
untergejubelt worden. «Noch mehr Arbeit geht nicht. Der Berufsauftrag ist
überfüllt», sagte von Wartburg, «und von einer fünften Ferienwoche wollen wir
schon gar nicht mehr sprechen.»
Die angespannte Finanzlage des Baselbiets führt zu weiteren
Befürchtungen. Trotzdem gelte es nun, die Vorhaben an die Schulrealität
anzupassen und die Bildungswissenschaftler in die Schranken zu weisen: «Wir
dürfen die Deutungshoheit nicht länger Experten überlassen, die mit dem
Schulalltag nichts zu tun haben», verkündete der Präsident und schob ein
Versprechen nach: «Der LVB wird unbequem bleiben.»
Lehrplan 21 sei ein
«Burnout-Programm»
Und dann kam der Lehrplan 21. Immerhin ist er das wohl meistdiskutierte Papier der vergangenen Jahre,
und das nicht nur im Raum Basel. Der Entwurf hinsichtlich des Übergangs vom
Kindergarten in die Primarschule, der speziell für erhitzte Gemüter sorgt,
wurde als «Burnout-Programm für Kindergärtnerinnen und Unterstufenlehrer»
umschrieben. Und das sei weder Schwarzmalerei noch Fantasterei.
Und die Fremdsprachen-Weiterbildung? Auch hier: erhitzte Gemüter – und
klare Worte: «Für den LVB ist es ein No-Go, dass eine Lehrperson mit
universitärem Abschluss, mehrmonatigem Auslandaufenthalt und vielen Jahren
Berufserfahrung eine Weiterbildung besuchen muss und sonst ihre
Unterrichtungsberechtigung verliert», betonte von Wartburg. Das Ziel sei eine
Redimensionierung der Weiterbildung und eine Überarbeitung des Konzepts. Eine
Evaluation ist für das Schuljahr 2015/2016 anberaumt, worüber sich der LVB
explizit freut.
Unauffällige Gäste und ein
paar Tipps
Dass im Übrigen auch die beiden Bildungsdirektoren der Landschaft, der
aktuelle, Urs Wüthrich, und die designierte, Monica Gschwind, zugegen waren,
fiel kaum auf. Beide wurden sie mit Applaus begrüsst, sprachen kurz zur
Versammlung, kurz: waren da. Jedenfalls bis Wüthrich – gepackte Koffer neben
dem Stuhl – vorzeitig nach Strassburg abreisen musste.
Er hörte nicht mehr, wie der Psychologe Allan Guggenbühl Schalk und
Unfug für den Unterricht forderte. Der Professor der Pädagogischen Hochschule
Zürich erachtet den Unterricht als halbchaotischen Vorgang, fordert Witz und
Blödeleien, «denn Lernen ist nichts Nüchternes: Es ist ein emotionaler
Prozess.» Und die Schule ein Container für den emotionalen Abfall ihrer
Schülerschaft.
Der Präsident des LVB - Roger von Wartburg - schreibt:
AntwortenLöschenSehr geehrter Herr Huber
Ich sehe mich veranlasst, eine Präzisierung vorzunehmen: Ein Geschäftsleitungsmitglied des LVB - selber auf der betreffenden Schulstufe tätig - hat an dieser Veranstaltung zum Ausdruck gebracht, dass der Entwurf der geplanten kantonalen Umsetzung des neuen Lehrplans im Bereich Kindergarten-Unterstufe sich aus ihrer Sicht wie ein Burnoutprogramm lese - weil er zu viele verschiedene Komponenten beinhalte, die aufgrund der bestehenden Schulrealitäten so nicht leistbar seien.
Der Titel dieses Artikels ist daher irreführend, weil der Lehrplan 21 als solcher gestern gar nicht Thema der Versammlung war. Dementsprechend konnte er auch nicht "förmlich zerfetzt" werden. Die rund 200 anwesenden Gäste werden dies gerne bestätigen.
Im Weiteren habe ich mich gestern zur Fremdsprachenweiterbildung nicht geäussert, das Thema wurde von einem anderen Geschäftsleitungskollegen präsentiert.
Roger von Wartburg, Präsident LVB
P.S. In meinen einleitenden Worten wies ich gestern explizit darauf hin, wie schwierig es sei, in der medialen Aufbereitung von Bildungsthemen differenziert wahrgenommen zu werden.
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AntwortenLöschenAufgrund der selektiven Berichterstattung des Journalisten ist es nicht möglich, die Zusammenhänge zu erschliessen. Dass sich Lehrpersonen regelmässig weiterbilden, ist für den LVB eine Selbstverständlichkeit.
AntwortenLöschenDas Problem liegt woanders. Die Verantwortlichen des Megaprojektes “Passepartout”, das bisher alleine in BL und BS 12.5 Mio verschlungen hat, verordnen in ihrer Begeisterung eine Weiterbildung, die 12mal (!) länger dauert als bisherige vergleichbare Fortbildungen.
Erstaunlich, können die Passepartout-Promotoren doch keine aussagekräftige Wirkungsstudie vorweisen, die belegen könnte, dass die revolutionäre Didaktik der Mehrsprachigkeit in der Realität auch tatsächlich funktioniert. Man stelle sich einen Pharmakonzern vor, der ein neues - angeblich überlegenes - Medikament ohne ernstzunehmenden Wirkungsnachweis auf den Markt bringt und Ärzten und Apothekern in umfangreichen Weiterbildungskursen erklärt, dass ab sofort nur noch das neue Medikament eingesetzt werden dürfe. Gewöhnungsbedürftig, zumal die gleiche Zulassungsbehörde Ärzten versichert, dass sie auch ohne Ausbildung problemlos als Zahnarzt arbeiten könnten.