Wenn man den Lehrplan
21 an seinem obersten Ziel misst, könnte man nach acht Jahren Arbeit,
millionenteuren Investitionen und Hunderten Seiten mehrfach überarbeiteter
Konzepte glatt depressiv werden. Oberstes Ziel war es nämlich, ein «Instrument
für die Harmonisierung der Volksschule und keine Schulreform» auszuarbeiten.
Von dieser erklärten Absicht, die dem klaren Volkswillen entsprach, ist der
Lehrplan 21 weit abgekommen. Denn was als dringende Massnahme gegen den
Kantönligeist angekündigt wurde, entpuppt sich in der vorliegenden Fassung als
Reglementiermonster, das die Volksschule grundlegend umkrempelt, die Lehrkräfte
verunsichert, Politiker in Wallung bringt und auf Jahre hinaus nur ein einziges
Resultat mit ziemlicher Sicherheit erreichen wird: endlose Streitereien über
Sinn und Unsinn der Reform.
Andreas Büchi, Chefredaktor Beobachter, 20.2.
Die erwünschte Harmonisierung der Lehrpläne wird so
auf Jahre hinaus blockiert, und Wohnortswechsel für Familien mit
schulpflichtigen Kindern bleiben hürdenreich. «Eine überambitionierte
Bürokratenmaus hat einen Dokumentenberg geboren», bilanziert die Basler
SPStänderätin Anita Fetz. Was bleibt, sind knapp 500 Seiten Papier und ein
komplett neuer Lehrplan, der fordert, mehr «Kompetenzen» statt Faktenwissen zu
vermitteln. Dabei ist unklar, ob diese «Kompetenzorientierung» der Schulen am
Ende überhaupt klügere Schüler erzeugt. Entsprechend stark ist der Widerstand
gegen das kafkaeske Werk, wie Susanne Loacker in unserer Titelgeschichte «Das
regulierte Schulkind» (ab Seite 26) darlegt. Kernpunkt der Kritik: Der neue
Lehrplan definiert kaum, welche konkreten Bildungsinhalte in der Schule
vermittelt werden sollen. Stattdessen setzt er auf exakt 363 «Kompetenzen», die
als Ziele formuliert werden. Einschmuggeln gesellschaftspolitischer Ziele
Konkret heisst es etwa: Schülerinnen und Schüler «können eigene Gefühle
wahrnehmen und angemessen ausdrücken». Sie können «einschätzen, wie schwer oder
leicht ihnen die Aufgaben/Problemlösungen fallen werden». Und sie können
«respektvoll mit Menschen umgehen, die unterschiedliche Lernvoraussetzungen
mitbringen, bzw. die sich in Geschlecht, Hautfarbe, Sprache, Kultur und
Lebensweise unterscheiden». Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber der Wiener
Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann wies in der NZZ zu Recht darauf hin,
dass mit den Kompetenzen «gesellschaftspolitische Zielsetzungen eingeschmuggelt
werden», die leicht «in blanke Ideologie umschlagen» können. Fazit: Der
Lehrplan 21 wurde unnötigerweise überladen mit einer kaum fassbaren neuen
Grundausrichtung der Lehraufträge. Das wichtigste Ziel – die Harmonisierung der
Bildungsinhalte – wird dadurch torpediert. Weniger theoretischer Reformgeist
und mehr Pragmatismus wäre definitiv mehr gewesen.
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