Vor allem Buben haben ihren Spass mit Spielzeugwaffen, Bild: Mike Schroeder
Spielzeugwaffen sind harmloser als ihr Ruf, NZZ, 23.2. von Christin Severin
In einem Wohnquartier übt eine Gruppe von sechs-
bis elfjährigen Buben den Strassenkampf. Sie schleichen um die Büsche,
verstecken sich hinter Ecken und springen plötzlich aus dem Hinterhalt ins
freie Gelände, ihre Spielzeugwaffen der Marke «Nerf» stets im Anschlag.
Gefeuert wird mit der grossen «Demolisher» oder der «Elite Strike», aus den
Läufen kommen Schaumstoff-Schüsse, die vorne mit einem kleinen Plastic-Kopf
verstärkt sind und eine Reichweite von rund 25 Metern haben. Die Buben haben
offensichtlich Spass, in ihren Bewegungen ahmen sie Guerillakämpfer nach, von
denen sie Bilder im Fernsehen gesehen haben müssen. In einer der umliegenden
Wohnungen werden die Gardinen zugezogen: Anscheinend ist das ein Spiel, das
diese Familie nicht sehen will.
Spiel ist nicht Realität
Viele Eltern stehen Spielzeugwaffen sehr skeptisch
gegenüber. Sie wollen diese weder im eigenen Haus haben noch ihre Kinder
anderswo damit spielen lassen. Der Kampfruf «Ich schiess dich tot» widerspricht
dem idealisierten Bild vom unschuldigen Nachwuchs. Er lässt die Frage
aufkommen, ob Erziehende mit Verboten und Ablenkungsmanövern reagieren sollen -
oder dem fröhlichen Kriegsspiel einfach gelassen zusehen können.
Der Psychologe Siegbert A. Warwitz, der sich
intensiv mit spielpädagogischen Fragen auseinandersetzt, stellt in seinem Buch
«Vom Sinn des Spielens» fest, dass eine unbefangene Auseinandersetzung mit der
Thematik «Kriegsspiel» angesichts der schrecklichen Realität von Krieg und
Terror immer noch schwierig sei. Zur Bildung eines sachlichen Urteils empfiehlt
er, sich zunächst klarzuwerden, was unter dem Begriff genau zu verstehen sei.
Ob es schon ein Kriegsspiel sei, fragt Warwitz, wenn sich Kinder als Indianer
verkleideten, mit Kriegsfarben bemalten und an den Marterpfahl stellten. Oder
ob es ein Kriegsspiel sei, wenn ein Kind im Gelände einen Stock aufhebe, ihn
zum Gewehr erkläre, auf ein anderes Kind ziele und rufe: «Peng! Du bist tot.»
Bei Sportspielen wie dem Fussball werden ebenfalls kämpferische Begriffe
verwendet. Auf den «Gegner» zu «schiessen», hat hier allerdings nichts
Anstössiges mehr. Eine solche Unterscheidung zeigt die Präsenz kämpferischer
Ideen im Spiel, aber auch, wie fliessend die Übergänge zwischen akzeptierten
und deutlich umstritteneren Spielformen sind.
Petra Moser, Entwicklungspsychologin und
Bereichsleiterin an der Pädagogischen Hochschule Zürich, betont, dass das Wort
Kriegsspiel bei Erwachsenen ganz andere Assoziationen auslöse als bei Kindern.
Während Erstere sofort an den echten Krieg, an Gewalt und Verbrechen dächten,
seien Spielzeugwaffen für Kinder nicht mit Tötungsabsichten verbunden, sondern
fungierten einfach als Spielzeuge. Mit dem Argument, dass Verbote und
Tabuisierungen in der Regel die Faszination für eine Sache eher verstärken,
plädiert sie gegen ein Verbot. Die Waffen müssten aber klar als Spielzeugwaffen
erkennbar sein. Das ist in der Schweiz übrigens auch rechtlich relevant.
Imitations-, Schreckschuss- und Soft-Air-Waffen, die mit echten Feuerwaffen
verwechselt werden können, sind gemäss dem schweizerischen Waffengesetz echten
Waffen gleichgestellt. Sie wurden bei Delikten immer wieder als Drohmittel
eingesetzt, wodurch gefährliche Situationen entstanden. In den USA sorgte
unlängst der tragische Fall eines Jugendlichen für Aufsehen, der zwar nur eine
Spielzeugwaffe trug, aber trotzdem von einem Polizisten erschossen wurde, weil
sich dieser durch die vermeintlich echte Waffe bedroht sah.
Regeln und Grenzen
Nötig ist es bei kriegerischen Spielen zudem, den
Kindern die Regeln und Grenzen des Spiels klarzumachen. Dazu gehört, weder
Menschen noch Tiere zu verletzen, Aussenstehende in Ruhe und Kinder, die nicht
mehr mitmachen wollen, sofort ziehen zu lassen. Problematisch wird es, so
Moser, wenn Kinder mittels Waffen Machtphantasien ausleben und Freude daraus
ziehen, bei anderen Angst zu erzeugen. In solchen Fällen muss das Gespräch mit
dem Kind gesucht werden.
Zentral ist auch der Rahmen, in dem die Spiele
stattfinden. So ist es etwas anderes, ob sich die Kinder im Wald hinter dem
Haus bzw. in den Quartierstrassen treffen oder ob das Ganze auf dem Schulhof
stattfindet. Im Kanton Zürich etwa ist es verboten, Waffenattrappen mit in die
Schule zu nehmen. Der Schulhof als sozialer Ort sei nicht für Spiele geeignet,
die auf andere Kinder bedrohlich wirken könnten, meint Moser.
Eine spezielle Gruppe innerhalb der Kriegsspiele
sind die digitalen Spiele. Zwar bleiben alle Handlungen auf den virtuellen Raum
beschränkt, dafür aber können die Spiele umso brutaler gestaltet werden.
Umstritten sind vor allem die Ego-Shooter-Spiele, bei denen der Spieler in
einer frei begehbaren, dreidimensionalen Spielwelt agiert und mit Schusswaffen
andere Spieler oder computergesteuerte Gegner bekämpft. Die vom Spieler
gelenkte Spielfigur ist menschlich oder menschenähnlich. Medienpsychologen sind
der Ansicht, dass diese Spiele die Menschen tatsächlich aggressiver machen,
empirisch klar erwiesen ist das jedoch nicht. Kritisch ist laut Moser vor allem
die hohe Simulationsprofessionalität der Spiele, die die Unterscheidung
zwischen Realität und Spiel offenbar schwierig machen kann. Auffällig ist, dass
sich Buben deutlich stärker für kriegerische Spiele und Spielzeugwaffen
interessieren als Mädchen. Laut einer einschlägigen Studie besitzen 76 Prozent
aller Buben Kriegsspielzeug und möchten 45 Prozent mehr davon haben. Bei den
Mädchen haben nur 29 Prozent Kriegsspielzeug, und fast keines möchte mehr. Zu
erklären ist das wohl damit, dass Waffen als «männlich» gelten. Sie sind
attraktiv für Buben, die ihre Rolle und Geschlechtsidentität suchen. Zu dieser
Erklärung passt auch, dass vor allem Kinder im Alter von vier bis zwölf Jahren
gern mit Waffen spielen. Die Faszination geht nachher zurück. Zum klassisch
weiblichen Rollenbild gehören Kampf und Waffen hingegen nicht. Mädchen leben
Aggressionen meist versteckter aus.
Toleranz durch Erfahrung
Im Zürcher Franz-Carl-Weber-Geschäft berichtet eine
Verkäuferin, dass die anfängliche Ablehnung vieler Eltern speziell bei den
populären «Nerfs», die in der Schweiz seit 2009 auf dem Markt sind, inzwischen
geringer geworden sei. Je mehr Kinder die Spielzeugwaffen hätten, desto mehr
schwinde auch die Opposition von Eltern. Aus Gesprächen lässt sich schliessen,
dass Eltern Befürchtungen hegen, von anderen Erwachsenen als unverantwortliche
Waffennarren wahrgenommen zu werden. Wenn aber deren Kinder ebenfalls
ausgerüstet sind, fällt diese Angst weg. Weil die Verletzungsgefahr bei der
neuen Generation von Spielzeugwaffen minimiert wird, spricht die Industrie gern
von einem sicheren «Action-Spielzeug».
Zusammengenommen führt dies zu einer gewissen
Enttabuisierung. Empfohlen sei kategorischen Kritikern und experimentellen
Geistern übrigens ein Selbstversuch. Dabei mag erstaunen, wie viel Spass es
macht, wenn man allfällige Hemmungen überwindet, sich auf das Spiel einlässt -
und schiesst.
Die Frage auch für tolerante Eltern bleibt dennoch,
wie weit sie gehen wollen. Kaufen sie die kritischen Spielzeuge lieber selbst
und behalten die Kontrolle, oder überlassen sie die Anschaffung aus Gründen der
Psychohygiene lieber dem Götti oder der Gotte? Begleitet man die Kinder zur
Schlacht in den Wald, um für die Einhaltung der Spielregeln zu sorgen, oder
wagt man es sogar, die lokale Turnhalle für eine kriegerische Geburtstagsparty
zu mieten? Anekdotische Evidenz zeigt, dass die Toleranz steigt, sofern Eltern
wahrnehmen, dass die befürchtete Verrohung ausbleibt und doch immer wieder auch
das Playmobil, die Puzzles oder der Fussball aus dem Schrank geholt werden.
Kinder brauchen keine Kriegsspiele
AntwortenLöschenSpiele sind wichtig für die Entwicklung der Kinder, ebenso wie sie von den Erwachsenen eine Orientierung für das Leben brauchen. Da die meisten Mädchen ohne Kriegsspiele auskommen und eher weniger psychische Probleme haben, als Knaben, zeigt, dass es für eine gesunde Entwicklung keine Kriegsspiele braucht, die eher aggressiv machen. Spielzeugwaffen sind vor allem ein Geschäft, darum werden sie auch verharmlost. Es bleibt eben nicht bei den Kriegsspielen, viele Kinder sind in Fernsehen, Medien und Videos mit Kriegsbildern konfrontiert, die sie weniger einordnen und hinterfragen können als Erwachsene. Das Problem bei diesen Gewaltbildern ist, dass man ein schlechtes Menschenbild bekommt. Laut dem Friedensforscher Daniele Ganser (SRF1 Ratgeber vom 15.1.2015) können so stereotype Feinbilder entstehen, wo man von jedem Menschen etwas Böses erwartet und von denen Kinder in ihren Angstträumen heimgesucht werden. Kinder unter 10 Jahren sollte man mit solchen Schreckensbildern verschonen. Ab 10 Jahren sollte man nachher unbedingt mit ihnen darüber reden, dass die meisten Menschen gar keine Gewalt anwenden wollen, sie wollen sich mit Freunden treffen, arbeiten gehen, in die Ferien fahren usw.