"Eine Selektion ist nie nur förderorientiert", Bild: Manu Friederich
Französisch zeigt, wie schwierig die Beurteilung mit dem Lehrplan 21 wird, Bund, 16.7. von Mireille Guggenbühler
Der
Sekübertritt ihrer Kinder in einem Jahr bereitet Elternvertretern aus
Bremgarten schon heute Sorgen. In einem Brief haben sie sich deshalb an den
«Bund» gewandt. Darin zeigen sie sich in Bezug auf die im kommenden Schuljahr
anstehenden Selektionsentscheide im Fach Französisch verunsichert. Denn: Die
künftigen Sechstklässler werden die ersten Schüler sein, welche Französisch
nach dem Passepartout-Lehrplan und dem neuen Lehrmittel «Milles Feuilles»
lernen. Doch die Vorgaben in diesem Lehrplan und die Selektion passen irgendwie
nicht zusammen, finden Eltern. Und auch Lehrer.
Die Beurteilung wird anders
Doch der
Reihe nach: Im Gegensatz zu ihren Eltern, die in den 1970er- und 1980er-Jahren
zur Schule gegangen sind, lernen heutige Französischschüler nicht nach einer
strikt vorgegebenen Grammatikprogression und einem damit verbundenen
Wortschatz, sondern vor allem durch Handeln und Sprechen in verschiedenen
Situationen. Der Passepartout-Lehrplan hält denn auch fest, dass die Schüler
die Fähigkeit erwerben sollen, die Fremdsprachen selbstständig zu gebrauchen,
Lernstrategien anzuwenden sowie Sprache und Kultur bewusst wahrzunehmen.
Im
bisherigen Französischunterricht stand die Zielorientierung im Zentrum der
Beurteilung. Neu ist mit dem Passepartout-Lehrplan die Kompetenzorientierung
hinzugekommen. Das heisst, künftig werden Lehrkräfte nicht nur die Leistungen
ihrer Schülerinnen und Schüler beurteilen müssen, sondern auch die Lernprozesse
der Kinder. Wörtlitests, Diktate, Grammatiktests oder eine Beurteilung in
Bezug auf das Klassenniveau im Französischunterricht – diese Zeiten sind
vorbei. Im Vordergrund steht der Weg, den ein Kind macht, um ein Lernziel zu
erreichen und nicht unbedingt nur das Ziel selber. Beurteilt werden also die
Lernfortschritte jedes einzelnen Kindes. Bei dieser Beurteilungsform stehen
somit die Stärken und nicht die Schwächen des Kindes im Vordergrund. Dies setzt
bei den Lehrpersonen ein sehr genaues Beobachten der Schüler voraus.
Im Prinzip
nimmt der Passepartout-Lehrplan also vorneweg, was ohnehin auf die Schulen
zukommen wird: Mit der Inkraftsetzung des Lehrplans 21 wird nämlich diese
kompetenzorientierte Beurteilung in allen Fächern zum Thema. Doch genau hier
liegt der Knackpunkt. Die «freiere Form des Lernens» im neuen Französischunterricht
und die damit einhergehende Beurteilung steht für die Französischlehrkräfte der
Oberstufenschule Bremgarten im Widerspruch zum nun anstehenden Selektionsentscheid
für die Sek. Ihre Bedenken haben die Lehrkräfte in einem Brief an die Eltern
der Oberstufenschüler denn auch festgehalten. Oder wie es Schulleiterin Silvia
Wyss ausdrückt: «Eine Selektion ist nie nur förderorientiert. Sie passt deshalb
nicht zum kompetenzorientierten Unterricht. Persönlich wären wir noch so froh,
wir könnten nur förderorientiert beurteilen. Indes müssen wir Noten vergeben
und den Eltern gegenüber auch begründen.»
Kinder sollen ins Gymnasium
Die Hälfte
aller Oberstufenschüler in Bremgarten besucht nach der Sek das Gymnasium.
«Unsere Eltern sind bildungsnah und wollen möglichst viele Kinder nach der
obligatorischen Schulzeit in weiterführende Schulen schicken», sagt Wyss.
Grundsätzlich
wünschten sich ihre Lehrkräfte deshalb nun eine Selektionshilfe vom Kanton im
Fach Französisch.
Für
Margreth Däscher von der Erziehungsdirektion (ERZ), die bei Passepartout
mitgearbeitet hat, kommt die Kritik nicht überraschend: «Viele Lehrpersonen
sind verunsichert, weil beim kompetenzorientierten Beurteilen die
Förderorientierung höher gewichtet wird als die Beurteilung von grossen oder
kleinen Tests.» Fakt ist allerdings laut Däscher, dass die Direktionsverordnung
über die Beurteilung schon heute und nicht erst mit der Einführung von
kompetenzorientiertem Unterricht, die förderorientierte Beurteilung vorsieht.
«Der Entscheid für die Selektion wird aus meiner Sicht nicht plötzlich
schwieriger, denn schon heute sollte er nicht nur auf der reinen Notengebung
basieren», sagt Däscher.
Allerdings
sei diese Beurteilungsform im Französischunterricht tatsächlich schwierig,
räumt Däscher ein. Deshalb hat die ERZ im Internet Vorlagen zum Beobachten und
zur Beurteilung aufgeschaltet. Schulleiterin Wyss ist sich bewusst, dass
eigentlich schon heute nicht nur die Beurteilung nach Noten im Vordergrund
stehen sollte, sondern auch der Lernprozess des Kindes. Aber: «Am Ende zählen
eben doch vor allem die Noten. Wenn wir einen Schüler mit einer Vier, der aber
grosse Lernfortschritte gemacht hat in die Sek schicken wollen und einen mit
einer Fünf, der kaum Fortschritte gemacht hat, nicht für die Sek vorschlagen,
dann wird es schwierig, dies den Eltern gegenüber zu begründen.»
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