Die neuen Trends des 'Selbstorganisierten Lernens' und des 'Altersdurchmischten Lernens' schwappen von den PH auf die Gemeinden über und sorgen für Unruhe, Bild: Georgios Kefalas
Streit um neues Schulmodell, NZZ, 16.7. von Lucien Scherrer
Die Schüler
werden in einem «Office» von «Lerncoachs» individuell betreut, und statt
Jahrgangsklassen gibt es altersdurchmischte «Homebases»: Die Gemeinde
Niederhasli setzt auf neuartige Unterrichtsmethoden, ohne Lehrer im klassischen
Sinn und ohne Frontalunterricht. «Selbstorganisiertes Lernen» (SOL) nennt sich
dieses Prinzip, das an pädagogischen Hochschulen seit einigen Jahren en vogue
ist. Im Sekundarschulhaus Seehalde wird das SOL seit letztem August umgesetzt.
In zwei Jahren soll das Unterrichtsmodell nach dem Willen der Schulleitung nun
auch im Schulhaus Eichi in Niederglatt eingeführt werden.
«Ermutigend»
Allerdings
scheint das SOL in der Lehrerschaft nicht nur auf Gegenliebe zu stossen. Wie
der «Zürcher Unterländer» («ZU») am Dienstag berichtete, haben 13 von 30
Lehrern im Schulhaus Eichi gekündigt. Der «überwiegende Teil», so berichteten
anonyme Lehrpersonen gegenüber der Zeitung, verlasse die Schule «wegen des
neuen Schulmodells». Wer die neuen Unterrichtsformen nicht gutheisse, werde so
unter Druck gesetzt, dass vielen nur die Kündigung geblieben sei.
Schulleiter
Werner Braun war am Dienstag für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Gegenüber
dem «ZU» erklärte er, dass nur vier bis fünf der abgetretenen Lehrer gegen das
Unterrichtsmodell seien. Die anderen seien aus privaten Gründen gegangen oder
weil ihre Leistung ungenügend gewesen sei. Einige Lehrer hätten die
«Weiterentwicklung» der Schule aber bewusst «verzögert» und «blockiert». Dabei
fühlten sich laut einer Umfrage 84 Prozent der Schüler in den «Homebases» des
Schulhauses Seehalde wohl, und eine externe Evaluation der Universitäten Zürich
und Freiburg sei ebenfalls «ermutigend» ausgefallen.
Auf den Lehrer kommt es an
Wissenschaftlich
ist das «selbstorganisierte Lernen» allerdings höchst umstritten. Befürworter
argumentieren, dass der klassische Frontalunterricht nicht geeignet sei, auf
die individuellen Bedürfnisse der Kinder einzugehen. Das selbstorganisierte
Lernen dagegen ermögliche es den Schülern, sich den Schulstoff nach einem
individuellen Zeitplan anzueignen. Das fördere Lernbereitschaft und
Selbständigkeit.
Kritiker halten
dem entgegen, dass nur starke Schüler von diesen Freiheiten profitierten;
schwächere Kinder seien dagegen überfordert. Da der Lehrer nur noch eine Art
Kumpel («Coach») sei, fehlten den Schülern auch Vorbilder und Bezugspersonen.
Ähnlich geteilt sind die Meinungen über das «altersdurchmischte Lernen» (AdL),
das in Niederhasli mit dem SOL kombiniert wird. Laut Befürwortern fördert das
System die sozialen Kompetenzen der Kinder, gemäss Kritikern fördert es vor allem
Chaos und Unruhe. Der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie wiederum kam
in einer vielbeachteten Studie zum Schluss, offene Lernformen und
altersdurchmischte Klassen hätten keine messbaren Effekte auf den Lernerfolg
der Schüler. Ausschlaggebend seien die Fähigkeiten des Lehrers.
Sicher ist: Wo
«moderne» Unterrichtsmethoden von oben verordnet werden, drohen Konflikte
zwischen Schulbehörden, Lehrern und Eltern. So wehren sich Eltern in Zumikon
derzeit mit einer Petition gegen das altersdurchmischte Lernen, weil die Unruhe
in den Klassenzimmern ihrer Ansicht nach zu gross ist (NZZ 8. 7. 14). Zu einem
heftigen Streit um AdL kam es auch in Feusisberg (SZ), worauf die Schule ihre
Schützlinge mit Armee-Gehörschutzgeräten ausrüstete.
In der
Zürichseegemeinde Uetikon sorgte die Einführung des selbstorganisierten Lernens
zu einem regelrechten Dorfstreit, der in Petitionen, Rücktritten, Kündigungen
und einem Exodus von Kindern an Privatschulen gipfelte. Inzwischen hat man das
Prinzip der Selbständigkeit etwas zurückgefahren und den Schülern wieder mehr
Strukturen und Verbindlichkeiten auferlegt.
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