Zürcher Primarschüler, die nach der sechsten Klasse ans Langgymnasium wollen, dürfen sich Erfahrungsnoten in Deutsch und Mathematik anrechnen lassen. Der entsprechende Notenschnitt zählt ebenso viel wie jener der Aufnahmeprüfung in diesen Fächern. Salopp gesagt, sind die Vornoten für eine Aufnahme also schon die halbe Miete. Nicht so für Privatschülerinnen und Privatschüler. Weil Privatschulen nur begrenzt unter qualitativer staatlicher Kontrolle stehen und einige Freiheiten bei der Stundenplangestaltung haben, erachtet man die Noten als nicht vergleichbar mit jenen der öffentlichen Schulen. Bei Privatschülern zählt deshalb nur das Prüfungsergebnis. Dafür kommt man ihnen beim erforderlichen Notensoll entgegen: Sie brauchen bloss ein Mittel von 4,0 statt 4,5.
Privatschüler sind bei der Gymi-Prüfung nicht benachteiligt - oder doch? NZZ, 6.3. von Lena Schenkel
Das klingt fair, aber ist es
das auch bei näherer Betrachtung? Mit dieser Frage befassten sich in den
letzten Jahren auch die Gerichte. Eltern und Schulen hatten sich mehrfach
beschwert, Privatschüler seien benachteiligt. Man gehe gewissermassen davon
aus, dass sie eine Vornote von maximal 5 hätten. Damit seien sie gegenüber
jenen Kandidaten aus den öffentlichen Schulen benachteiligt, die sich eine
Vornote über 5 anrechnen lassen dürften – und an der Prüfung keine genügende
Note erzielen müssten.
Eine harte
Benotung kann eine zusätzliche Hürde sein
Kommt hinzu: Es ist ein
offenes Geheimnis, dass die Gymnasien die Schülerzahlen über die Benotung der
Prüfung steuern, um eine politisch gewollte Quote zu halten. Der
Bewertungsmassstab wird so angepasst, dass die gewünschte Zahl an Prüflingen
besteht. Das bedeutet: je höher die Erfahrungsnoten der Kandidaten öffentlicher
Schulen, desto strenger die Beurteilung. Das wiederum mache es für
Privatschüler noch schwerer, eine genügende Prüfungsleistung zu erzielen, wird
moniert.
Das Zürcher
Verwaltungsgericht hat die Beschwerden bisher immer
abgewiesen oder ist nicht auf den beanstandeten Punkt der
Benachteiligung eingetreten. Zwar hätten die meisten Schüler der öffentlichen
Schulen tatsächlich einen Vornotenschnitt von über 5. Es sei aber zu bedenken,
dass die Kandidaten öffentlicher Schulen einer starken Vorselektion unterlägen,
lautete der Tenor der Urteile: Sie müssten sich an den Vorschulen stärker
behaupten als Privatschüler, um zu guten Vornoten zu gelangen. Ohne diese
meldeten sich die meisten gar nicht erst zur Prüfung an.
Zudem treffe eine allfällig strengere Bewertung alle Kandidaten gleichermassen.
Privatschüler könnten unter Umständen sogar davon profitieren. Dann nämlich,
wenn die Erfahrungsnoten der Kandidatinnen und Kandidaten aus öffentlichen
Schulen eher tief seien. Insgesamt liege keine Ungleichbehandlung von
Privatschülerinnen und -schülern vor.
Kinder der
öffentlichen Schulen haben sehr hohe Vornoten
Eine Minderheit des Gerichts
sah dies anders. Es könne, vereinfacht gesagt, nicht sein, dass Privatschüler –
im Gegensatz zu Kandidaten aus öffentlichen Schulen mit Erfahrungsnoten ab 5,25
– immer eine genügende Prüfungsleistung brauchten. Dies sei umso bedenklicher,
als der effektive durchschnittliche Vornotenwert über 5,25 liege.
Diesen Punkt hatte auch das
Bundesgericht angesprochen, als es sich 2019 mit einem der Fälle befasste. Es
lehnte die Beschwerde zwar ab, hielt aber fest, dass dann eine
Ungleichbehandlung vorläge, wenn der Durchschnitt der Erfahrungsnoten dauerhaft
und wesentlich über oder unterhalb der Note 5 läge. In diesem Fall müsste der
Zürcher Regierungsrat eine Änderung des Aufnahmereglements prüfen.
Wie ein Blick in die
Statistik zeigt, trifft genau das zu: Zwischen 2009 und 2019 lagen die
Erfahrungsnoten im Mittel bei 5,29. Ab 2016 betrugen die Jahreswerte über 5,3,
jüngst sogar 5,365. Auch deshalb wagten der Verband der Zürcher Privatschulen
und die Eltern eines Betroffenen nochmals einen Anlauf. Sie klagten bis vor
Bundesgericht gegen die 2019 vom Regierungsrat erlassene neue
Prüfungsverordnung.
Diese sieht vor, Privatschüler bezüglich Vornoten weiterhin anders zu
beurteilen als Kandidaten aus öffentlichen Schulen – was neu auch für Prüflinge
der Sekundarstufe gilt. Während sich diese eine Vornote aus fünf Fächern
anrechnen lassen dürfen, zählt für Privatschüler einzig ihre schriftliche
Leistung in Deutsch und Mathematik am Prüfungstag.
Das
Bundesgericht hat seine Argumentation angepasst
Das Bundesgericht hat die
Beschwerde trotz dieser Faktenlage abgewiesen. Es änderte in gewisser Hinsicht
seine bisherige Argumentation, der Vorinstanz folgend: Nicht das langjährige
Mittel der Erfahrungsnoten sei entscheidend, sondern die Prüfungsdurchschnitte
der Zugelassenen je nach Schülerkategorie. Eine Benachteiligung von
Schülerinnen und Schülern mit oder ohne Erfahrungsnote sei allenfalls dann
gegeben, wenn sich diese Kategorien wesentlich voneinander unterschieden.
Ob dies der Fall ist, bleibt
vorerst unklar. Das Zürcher Mittelschul- und Berufsbildungsamt gibt auf Anfrage
bekannt, dass es keine systematischen Erhebungen zu den Privatschülern an der
Aufnahmeprüfung mache. Der Verband der Zürcher Privatschulen zeigt sich auf
Anfrage «sehr enttäuscht» vom Entscheid. Er will die Faktenlage prüfen und die
entsprechenden Daten erheben. Zudem werde er sich überlegen, wie er weiter
gegen die aus seiner Sicht «mehrstufige Ungleichbehandlung» vorgehen könne.
Sehr interessanter Bericht. Der Unterschied war mir jetzt so gar nicht klar. Doch ich denke schon, dass somit Privatschüler in gewisser Weise benachteiligt sind. Auch wenn die Privatschulen nicht kompletter Aufsicht stehen, was sie quasi ad absurdum führen würden, sollten sie bei gleichem Abschluss auch gleich behandelt werden.
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