29. Dezember 2020

Keine Hausaufgaben an der Unterstufe

Was für viele in der Kindheit ein Traum gewesen wäre, die Unterstufenschüler in Männedorf erleben es: Sie müssen seit Oktober keine Hausaufgaben mehr machen. Die Schule Männedorf setzt unter dem Titel «Lernprozesse begleiten» ein entsprechendes Pilotprojekt um. Beteiligt sind 336 Schülerinnen und Schüler der 1. bis 3. Klasse. 

Die Unterstufenschüler müssen keine Hausaufgaben mehr machen, Tages Anzeiger, 21.12. von Philippa Schmidt

Nicht weniger Stoff

«Der Impuls zu diesem Projekt kam von den Lehrpersonen: Der neue Lehrplan 21 bildet die Grundlage für die Weiterentwicklung der Aufgabenkultur im Unterricht», erklärt Beatrice Scherrer, welche die Gesamtschulleitung in Männedorf innehat. 

Bezüglich eines befürchteten schulischen Defizits verweist Scherrer auf den neuseeländischen Bildungswissenschaftler John Hattie. «Die Bedeutung von Hausaufgaben erscheint in seinen Studien bei jüngeren Kindern weit hinten bei den Einflussfaktoren», sagt die Gesamtschulleiterin. 

Dabei sollen die «Ufzgi» nicht einfach wegfallen. «Die althergebrachten Hausaufgaben wurden in individuelle Lernzeiten im Unterricht umgewandelt», betont Scherrer. «Die Kinder lernen nicht weniger, sondern kompetenzorientiert und werden in ihrem persönlichen Lernprozess einbezogen.»

Und wie sieht es mit Rückmeldungen aus der Lehrerschaft und von den Schülerinnen und Schülern aus? «Da das Projekt erst gestartet wurde, sind nur wenige spontane Rückmeldungen eingetroffen», schildert Scherrer die Situation. Die ersten Erfahrungen würden im Sommer 2021 von allen Beteiligten eingeholt. Überhaupt soll der Versuch während der drei Jahre eng begleitet werden. «Sowohl die Eltern als auch die Lehr- und Fachpersonen können während dieser Zeit konkrete Erfahrungen sammeln.» Die entsprechenden Rückmeldungen würden jährlich aktiv eingeholt und dokumentiert. 

Auch Kritik

Männedorf ist nicht die einzige Schule, welche ihren Unterstufenschülern keine Hausaufgaben mehr erteilt. So haben etwa auch einige Primarschulen in den Kantonen Bern, Luzern und St. Gallen die Hausaufgaben schon abgeschafft. Ralf Schäpper, Schulleiter der Primarschule Feldli-Schoren in St. Gallen, nannte im «St. Galler Tagblatt» die Chancengleichheit als Grund für den Verzicht auf Hausaufgaben. «Für Kinder, die ihre Eltern nicht um Rat oder Hilfe fragen können, sind die Hausaufgaben ein Stress.» Nach einem einjährigen Versuch entschied die Schule im Herbst 2020, wegen der positiven Erfahrungen definitiv auf Hausaufgaben zu verzichten. 

Es gibt allerdings auch Fachleute, die die Abschaffung kritisieren. Bernhard Hauser, Professor an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen, gibt ebenfalls im Tagblatt zu bedenken, dass Kinder Selbstregulation durch Hausaufgaben lernen müssten. «Wenn man die Selbstständigkeit nicht gelernt hat, die es braucht, dann schadet das gerade den Schwächsten.»

Schulpflege entscheidet

Im Kanton Zürich können die Volksschulen selbst entscheiden, ob sie ihren Schülern Hausaufgaben geben. Vorgeschrieben ist einzig, dass die Schüler keine Aufgaben über die Feiertage und Ferien machen müssen. «Die Anzahl von Schulen, welche ganz auf Hausaufgaben verzichten, ist dem Volksschulamt nicht bekannt», sagt Myriam Ziegler, Amtschefin des Volksschulamtes, denn auch. 

«Festzustellen ist, dass vermehrt Angebote für die Erledigung der Hausaufgaben in der Schule bereitgestellt werden», betont Ziegler. Viele Gemeinden böten betreute (teilweise kostenpflichtige) Aufgabenstunden an, in welchen Schülerinnen und Schüler ihre Hausaufgaben in Ruhe selbstständig lösen können. Ziegler verweist zudem auf Tagesschulen, wo es oft Angebote gebe, die das Erledigen der Hausaufgaben während der Tagesschulzeit ermöglichen.

In Männedorf muss sich zeigen, welche Erfahrungen Lehrpersonen, Eltern und Kinder mit dem Konzept sammeln. Die Ergebnisse der Evaluation sollen wegweisend für die weitere Schulentwicklung sein. Am Ende der Pilotphase werde die Schulpflege dann entscheiden, ob die Hausaufgaben an der Unterstufe definitiv abgeschafft werden, sagt Scherrer.

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