Was für viele in der Kindheit ein Traum gewesen wäre, die Unterstufenschüler in Männedorf erleben es: Sie müssen seit Oktober keine Hausaufgaben mehr machen. Die Schule Männedorf setzt unter dem Titel «Lernprozesse begleiten» ein entsprechendes Pilotprojekt um. Beteiligt sind 336 Schülerinnen und Schüler der 1. bis 3. Klasse.
Die Unterstufenschüler müssen keine Hausaufgaben mehr machen, Tages Anzeiger, 21.12. von Philippa Schmidt
Nicht weniger Stoff
«Der Impuls zu diesem Projekt kam von den Lehrpersonen: Der
neue Lehrplan 21 bildet die Grundlage für die Weiterentwicklung der
Aufgabenkultur im Unterricht», erklärt Beatrice Scherrer, welche die
Gesamtschulleitung in Männedorf innehat.
Bezüglich eines befürchteten schulischen Defizits verweist
Scherrer auf den neuseeländischen Bildungswissenschaftler John Hattie. «Die
Bedeutung von Hausaufgaben erscheint in seinen Studien bei jüngeren Kindern
weit hinten bei den Einflussfaktoren», sagt die Gesamtschulleiterin.
Dabei sollen die «Ufzgi» nicht einfach wegfallen. «Die
althergebrachten Hausaufgaben wurden in individuelle Lernzeiten im Unterricht
umgewandelt», betont Scherrer. «Die Kinder lernen nicht weniger, sondern
kompetenzorientiert und werden in ihrem persönlichen Lernprozess einbezogen.»
Und wie sieht es mit Rückmeldungen aus der Lehrerschaft und
von den Schülerinnen und Schülern aus? «Da das Projekt erst gestartet wurde,
sind nur wenige spontane Rückmeldungen eingetroffen», schildert Scherrer die
Situation. Die ersten Erfahrungen würden im Sommer 2021 von allen Beteiligten
eingeholt. Überhaupt soll der Versuch während der drei Jahre eng begleitet werden.
«Sowohl die Eltern als auch die Lehr- und Fachpersonen können während dieser
Zeit konkrete Erfahrungen sammeln.» Die entsprechenden Rückmeldungen würden
jährlich aktiv eingeholt und dokumentiert.
Auch Kritik
Männedorf ist nicht die einzige Schule, welche ihren
Unterstufenschülern keine Hausaufgaben mehr erteilt. So haben etwa auch einige
Primarschulen in den Kantonen Bern, Luzern und St. Gallen die Hausaufgaben
schon abgeschafft. Ralf Schäpper, Schulleiter der Primarschule Feldli-Schoren
in St. Gallen, nannte im «St. Galler Tagblatt» die Chancengleichheit als Grund
für den Verzicht auf Hausaufgaben. «Für Kinder, die ihre Eltern nicht um Rat
oder Hilfe fragen können, sind die Hausaufgaben ein Stress.» Nach einem
einjährigen Versuch entschied die Schule im Herbst 2020, wegen der positiven
Erfahrungen definitiv auf Hausaufgaben zu verzichten.
Es gibt allerdings auch Fachleute, die die Abschaffung
kritisieren. Bernhard Hauser, Professor an der Pädagogischen Hochschule St.
Gallen, gibt ebenfalls im Tagblatt zu bedenken, dass Kinder Selbstregulation
durch Hausaufgaben lernen müssten. «Wenn man die Selbstständigkeit nicht
gelernt hat, die es braucht, dann schadet das gerade den Schwächsten.»
Schulpflege entscheidet
Im Kanton Zürich können die Volksschulen selbst entscheiden,
ob sie ihren Schülern Hausaufgaben geben. Vorgeschrieben ist einzig, dass die
Schüler keine Aufgaben über die Feiertage und Ferien machen müssen. «Die Anzahl
von Schulen, welche ganz auf Hausaufgaben verzichten, ist dem Volksschulamt
nicht bekannt», sagt Myriam Ziegler, Amtschefin des Volksschulamtes, denn
auch.
«Festzustellen ist, dass vermehrt Angebote für die
Erledigung der Hausaufgaben in der Schule bereitgestellt werden», betont
Ziegler. Viele Gemeinden böten betreute (teilweise kostenpflichtige)
Aufgabenstunden an, in welchen Schülerinnen und Schüler ihre Hausaufgaben in
Ruhe selbstständig lösen können. Ziegler verweist zudem auf Tagesschulen, wo es
oft Angebote gebe, die das Erledigen der Hausaufgaben während der
Tagesschulzeit ermöglichen.
In Männedorf muss sich zeigen, welche Erfahrungen
Lehrpersonen, Eltern und Kinder mit dem Konzept sammeln. Die Ergebnisse der
Evaluation sollen wegweisend für die weitere Schulentwicklung sein. Am Ende der
Pilotphase werde die Schulpflege dann entscheiden, ob die Hausaufgaben an der
Unterstufe definitiv abgeschafft werden, sagt Scherrer.
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