Die 2017 veröffentlichte Studie zum bundesweiten Bildungsniveau war
besorgniserregend. Jetzt werden die Ergebnisse von Vergleichsarbeiten an
Berliner Grundschulen veröffentlicht: Sie sind alarmierend.
Grundschüler können nicht mehr richtig schreiben, Welt, 12.2. von Claudia Becker
Seit Jahren
beklagen Philologen einen dramatischen Verfall der Rechtschreibkenntnisse bei
deutschen Schülern. So hat Wolfgang Steinig, Professor für Germanistik an der
Uni Siegen, beim Vergleich von Schulaufsätzen festgestellt, dass Schüler 2012
zwar kreativer schreiben, aber mehr als doppelt so viele Rechtschreibfehler
machen wie 1972.
Und auch in Mathematik erfüllen immer
weniger die Mindeststandards. Das zeigte nicht zuletzt der vom Institut für
Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) im Auftrag der
Kultusministerkonferenz erhobene Bildungstrend 2016. Danach erreicht gerade mal
etwas mehr als die Hälfte der Viertklässler den Regelstandard beim Schreiben,
etwa zwei Drittel beim Lesen und Zuhören. Nur 62 Prozent der Viertklässler
haben bundesweit in Mathematik die von der Kultusministerkonferenz vorgesehenen
Mindeststandards erreicht.
Eigentlich wären
die Zahlen unter Verschluss geblieben
Die aktuellen Ergebnisse der Vergleichsarbeiten,
die Berliner Drittklässler unter dem Namen Vera 3 schreiben und die dem „Tagesspiegel“ vor der
offiziellen Veröffentlichung in der kommenden Woche bereits vorliegen, sind
noch weit dramatischer. 24.000 Grundschüler nahmen teil, drei Viertel von ihnen
erreichten die Regelstandards im Bereich Rechtschreibung nicht. Die Hälfte
kommt nicht an die Mindestanforderungen heran.
Auch in Mathematik sieht es düster aus. Beim Thema
„Größen und Messen“ waren für mehr als ein Drittel die einfachsten Aufgaben zu
schwer.
Eigentlich wären diese Zahlen unter Verschluss
geblieben. Die Vera-Ergebnisse, so die Begründung, seien nur für den
schulinternen Gebrauch vorgesehen. Dem aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu
Auskunftsrechten von Abgeordneten (Az. 2 BvE 2/11) ist es zu
verdanken, dass Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) die Zahlen
veröffentlicht. Der Neuköllner SPD-Abgeordnete Joschka Langenbrick hatte in
einer entsprechenden Anfrage die Politikerin dazu aufgefordert.
Wie zu erwarten, fallen die Ergebnisse für Kinder
mit deutscher und nicht deutscher Herkunftssprache unterschiedlich aus. Doch
auch für deutschsprachige Schüler sind die Zahlen alarmierend: In
Rechtschreibung erreichten nur fünf Prozent den „Optimalstandard“, 40 Prozent
liegen auf der untersten Stufe. 60 Prozent der Kinder mit einer anderen
Muttersprache blieben unter dem Mindeststandard.
In Mathematik waren beim Thema „Größen und Messen“
der Hälfte der nicht deutschsprachigen Kinder die einfachsten Aufgaben zu
schwer.
Für die Ergebnisse lassen sich unterschiedliche
Gründe finden. Dass geflüchtete Kinder nicht mehr in sogenannten
Willkommensklassen unterrichtet werden, sondern auch im regulären Schulbetrieb,
könnte nur einer sein.
Lehramtsstudenten brauchen Nachhilfe
Bildungsexperten führen die schlechten
Rechtschreibkenntnisse deutscher Schüler auf eine zu lange Anwendung der
Methode „Schreiben lernen nach Gehör“ zurück. Sie wurde vor einigen Jahren in
allen Bundesländern eingeführt und erlaubte den ABC-Schützen in den ersten
Grundschuljahren, statt „Butter“ „Buda“ zu schreiben, statt „Tor“ „Toa“
Eltern sollten
nicht korrigieren, damit die Kinder nicht die Lust verlieren. Dass die Kinder
das Bewusstsein für die richtige Schreibweise verlieren beziehungsweise gar
nicht erst erlangen, wurde Lehrern erst allmählich klar. Auch wenn sich
mittlerweile einige Bundesländer von der Methode verabschiedet haben – die
Folgen bleiben und zeigen sich in Leistungskontrollen und Bildungsstudien.
Die Auswüchse eines
mangelhaften Rechtschreibunterrichts erreichen auch die Universitäten. So
stellt das Institut für Germanistik der Universität Duisburg-Essen (UDE) mit
Sorge fest, dass unter den Lehramtsstudenten für das Fach
Deutsch deutliche Defizite im Bereich Rechtschreibung und Grammatik vorliegen.
Mittlerweile bietet die Universität gezielte Projekte an, bei denen die
Sprachkompetenzen von Lehramtsstudenten verbessert werden.
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