Es ist ein Elend mit der Schule. Auch im 21. Jahrhundert setzt sie auf
Bücher, Stift und Papier, ja auf Wandtafel und Kreide. Dabei ist die Zukunft, natürlich, digital. Wie sollen die Kinder morgen
vermittelbar sein, wenn sie sich heute mit Zirkel und Schönschrift plagen
müssen? Wie den Anforderungen der Wirtschaft genügen, wenn sie ihr Deutsch wie
weiland Schiller und Goethe aus Büchern lernen?
Ja, jetzt herunterfahren, Tages Anzeiger, 15.2. von David Hesse
Die Forderung von Economiesuisse
Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse forderte letzte Woche
Massnahmen. Die digitale Technik müsse Einzug in die Schulen halten, und zwar
in eine Mehrheit der Stunden, nicht nur ins neue Fach «Medien und Informatik».
So soll im Zeichenunterricht etwa digitale Bildbearbeitung gelehrt und
Mathematik wie Deutsch schon den Primarschülern primär digital vermittelt
werden.
Doch diese Forderungen sind unsinnig. Es braucht nicht mehr Computer an
den Schulen, sondern weniger, und auf Primarstufe am besten keine – gerade weil
die Digitalisierung bald jeden Lebensbereich erfasst. Den Umgang mit
Touchscreens lernen die Kinder sowieso, nebenbei, es geht nicht anders. Die
Schule aber kann und soll die letzte weitgehend bildschirmfreie Stätte sein. Dies
aus mindestens fünf Gründen:
1. Leistung. Es gibt bis jetzt kaum seriöse Studien, die Computer und
Lernerfolg zusammenbringen. Im Gegenteil, die OECD erkannte 2015: «Schüler, die
an Schulen sehr häufig Computer benutzen, schneiden bei den meisten Lernergebnissen
viel schlechter ab.» Für die Entwicklung von Kindern im Vorschulalter sind
Bildschirme sowieso eher schädlich: Die US-Vereinigung der Kinderärzte
empfiehlt heute null Stunden Bildschirmzeit für Unter-Zweijährige und maximal
eine Stunde täglich für ältere Kinder. iPads für die Kleinsten, damit sie
später einen Vorteil haben? Vergessen Sie es. Nichts schlägt hinsetzen und
selber spielen.
2. Wer mit Heften und Büchern statt mit Screens arbeitet, lernt
etwas. Sich mit einem unveränderlichen gedruckten Text beschäftigen, der durch
kein lustiges Video aufgelockert wird und neben dem kein animierter Dackel
aufspringt, wenn man die Kontrollfrage richtig beantwortet: Das ist eine
Kompetenz. Viele wichtige Dinge des Lebens kommen als sperrige Texte daher, vom
Kleingedruckten im Kreditvertrag bis zur Hotelbibel. Wer sich darauf nicht
einzulassen weiss, ist ungenügend ausgebildet.
3. Die Schule darf sich nicht von gewinnorientierten Firmen
einspannen lassen. In einigen Kantonen werden Tests mit Tablets im Unterricht
durchgeführt – gesponsert von Unternehmen wie Samsung, die teilweise auch die
Kosten für die Lehrerweiterbildung übernehmen. Hier werden die Kunden von
morgen angefixt. Die Volksschule sollte ihre Abwehrkräfte stärken. Solche
Firmen sind keine neutralen Partner.
4.Es wäre falsch, die Förderung unserer Kinder zu sehr den Maschinen zu
überlassen. Wer will, dass der Mensch immer relevanter bleibt als Gewinn und
Effizienz, der sollte die nächste Generation von empathischen, fühlenden,
warmen Wesen ausbilden lassen.
5. Es ist verkehrt, den Alltag der Kinder mit Computern aufzurüsten,
solange wir selber nicht sicher sind, ob die Digitalisierung unser
Erwachsenenleben wirklich verbessert. Derzeit mehren sich die Studien, die
Zweifel aufwerfen. In Grossbritannien leiden Pensionäre an den
Self-Scanning-Kassen im Supermarkt, weil die sie um ihren oft einzigen Schwatz
des Tages bringen. In der Schweiz sehen Gymnasiasten ihre Ferien vermehrt als
Stress, weil sie da ihre Social-Media-Kanäle mit Erlebnissen füttern müssen.
«Haben Smartphones eine Generation kaputtgemacht?», fragte jüngst die
US-Psychologin Jean Twenge.
Montessori-Schulen im Silicon Valley
Mancher mag solche Einwände für ängstlich und konservativ halten. Doch
blicken wir ins zukunftsfreudige Silicon Valley: Letzte Woche war hier zu
lesen, dass viele Stars der Tech-Szene früher Montessori-Schulen besuchten.
Stimmt. Und viele schicken ihre Kinder heute wieder in Privatschulen, an denen
es keine Tablets gibt, kein Wi-Fi. Steve Jobs sagte einmal auf die Frage, ob
seine Kinder das neue iPad liebten: «Sie dürfen es nicht benutzen.» Weil Malen
und das Spiel im Wald für die Kreativität eben doch das Beste sind.
Das ist die echte Gefahr der Digitalisierung: Dass handgemachte, vom
Menschen vermittelte Bildung zu
einem Privileg wird, das sich nur noch in der teuren Privatschule erfahren
lässt. Wir alle sollten uns Offlinebildung leisten können.
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