Es sollte Gerold Laubers
grosser Triumph werden. Zum Schluss seiner 12-jährigen Amtszeit will der
CVP-Stadtrat eines seiner wichtigsten Projekte erfolgreich hinterlassen: Alle
Zürcher Schulhäuser sollen in Tagesschulen umgewandelt werden. Lange gab es kaum
Widerstand gegen das Modell «Tagesschule 2025».
Zu hohe Erwartungen an die Tagesschulen? Foto: Dominique Meienberg |
Plötzlich gibt es Zweifel an der Tagesschule, Tages Anzeiger, 7.10. von Daniel Schneebeli
In den ersten Pilotschulen, welche das Projekt umsetzen, sind über
90 Prozent der Eltern begeistert. Auch die grosse Mehrheit der Lehrerinnen und
Lehrer steht hinter dem Projekt. Lauber nutzte die grosse Zustimmung bisher und
pries stets die Fortschrittlichkeit und Zukunftsfähigkeit seiner Schulen. Noch
in hundert Jahren werde man sich an die ersten Zürcher Tagesschulen erinnern,
sagte Lauber kürzlich selbstbewusst an einer Schulhauseröffnung.
Doch seit einigen Wochen ist Sand ins Reformgetriebe gekommen –
und zwar von einer unerwarteten Seite. Eine vom Schweizerischen Nationalfonds
unterstützte Studie der Universität Bern hat ergeben, dass die Erwartungen in
die Tagesschulen zu hoch seien. «So wie die Angebote heute konzipiert sind,
zeigt sich nicht, was man sich erhofft hat», fasste die Leiterin der Studie,
Pädagogikprofessorin Marianne Schüpbach die Ergebnisse ihrer Studie zusammen.
Weder schulisch noch sozial hätten Tagesschulkinder Vorteile gegenüber Kindern
aus traditionellen Schulmodellen.
Versuchter
Befreiungsschlag
Nun versucht Lauber den Befreiungsschlag und zieht im Interview
mit dem «Tages-Anzeiger» eine weitere Studie herbei. Sie ist zwar bereits aus
dem Jahr 2010, pikanterweise steht aber ebenfalls Marianne Schüpbach dahinter.
Lauber sagt, er habe auf jener Studie von 2010 seine Argumente für die Reform
aufgebaut. Diese Studie hatte klare Vorteile für die Tagesschulen ergeben,
sowohl bei den Schulleistungen der Kinder als auch bei deren Sozialverhalten.
Die Differenzen zwischen den Studien erklärt Schüpbach unter
anderem mit unterschiedlichen Stichproben. Bei der Studie von 2010 wurden
sowohl offene Tagesschulen mit einem freiwilligen Angebot als auch gebundene
Schulen angeschaut. Bei Letzteren waren Mittagessen und integrierte Zeit für
Aufgaben und andere Aktivitäten obligatorisch. In der Studie von 2017 seien nur
offene Tagesschulen mit freiwilligen Angeboten untersucht worden.
Doch als Hauptargument für die unterschiedlichen Ergebnisse nennt
Schüpbach den unterschiedlichen Beobachtungszeitraum. Für die Studie von 2010
habe man die Kinder drei Jahre, für die Studie von 2017 nur noch zwei Jahre
begleitet. Dieser Zeitraum sei sehr kurz, um Veränderungen festzustellen. Auch
in der Studie von 2010 seien die wesentlichen Differenzen erst im dritten
Untersuchungsjahr aufgetreten. Für einen dreijährigen Beobachtungszyklus haben
der Forscherin in der zweiten Studie die finanziellen Mittel gefehlt.
Ein Steilpass für die SVP
Die Steilvorlage von Marianne Schüpbachs zweiter Studie hat die
SVP dankbar aufgenommen. Sie verlas im Gemeinderat bereits eine geharnischte
Erklärung: Gerold Lauber wolle mit «hohlen Versprechungen und geschönten Zahlen
eine Staatsschule à la DDR» durchdrücken. Man werde sich gegen dieses «Buebetrickli»
zur Wehr setzen, kündigte die Volkspartei an. Dabei bezog sich die SVP auch auf
Schüpbachs Studie: Mit den Tagesschulen werde weder die Leistung verbessert
noch die Integration gefördert.
Für Lauber ist dieser Gegenwind beunruhigend, weil er im
Stadtparlament eben ein Kreditbegehren von 68 Millionen Franken gestellt hat,
mit denen nach sechs Pilotschulen weitere 24 normale Schulen zu Tagesschulen
umgebaut werden sollen.
Dass in Zürich mit ihrer Studie gegen die Tagesschule 2025
Stimmung gemacht wird, bedauert Schüpbach, die mittlerweile in Deutschland an
der Otto-Friedrich-Universität Bamberg tätig ist. Die Forscherin ist überzeugt,
dass Tagesschulen ein grosses Potenzial haben, «vor allem wenn auch ihre
ausserschulischen Angebote verbindlich und qualitativ gut sind». Das Zürcher
Tagesschulmodell betrachtet Schüpbach nach wie vor als «einen Schritt in die
richtige Richtung».
Schulische Ziele sind
sekundär
Auch der Zürcher Erziehungswissenschaftler Urs Moser vom Institut
für Bildungsevaluation an der Universität Zürich sieht in den Tagesschulen ein
Zukunftsmodell. Allerdings warnt auch er vor zu hohen Erwartungen. Schliesslich
sei eine Tagesschule in erster Linie dazu da, die Betreuung der Kinder zu
verbessern und die Eltern zu unterstützen: «Wenn wir die Schulleistungen der
Kinder verbessern wollen, machen wir dies besser mit Förderprogrammen im
Unterricht. Das ist viel effizienter.»
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