Im Streit um den Fremdsprachenunterricht baut Alain Berset eine Drohkulisse auf. Falls sich die Kantone nicht an ihre eigenen Regeln halten, wird er intervenieren. Dabei könnte viel schieflaufen, mahnen die Erziehungsdirektoren.
Bersets heikler Eingriff im Sprachenstreit, NZZ, 7.7. von Christof Forster
Es ist ein
vermintes Terrain, auf das sich Innenminister Alain Berset begibt. In der
Sprachenfrage sind mit dem nationalen Zusammenhalt, dem Föderalismus und dem
Subsidiaritätsprinzip zentrale Pfeiler der Schweiz tangiert. In der Westschweiz
wird genau beobachtet, welchen Stellenwert die Sprache der Minderheit in den
Deutschschweizer Kantonen einnimmt. So war die Freude in der Romandie gross,
als das Nidwaldner Stimmvolk 2015 ein deutliches Signal für Frühfranzösisch
sendete. Irritationen löst hingegen die Absicht des Kantons Thurgau aus,
Französisch in der Primarschule zu streichen. Die Thurgauer Regierung pocht
indes auf die kantonale Kompetenz in der Bildung und beklagt das geplante
Eingreifen des Bundes.
Drei Varianten
Mit der am Mittwoch präsentierten Revision des Sprachengesetzes
will der Bundesrat eine Drohkulisse gegenüber den Kantonen aufbauen. Die
Botschaft lautet: Haltet euch an die Regeln, die ihr selber vereinbart habt. In
erster Linie ist sie an den abtrünnigen Kanton Thurgau gerichtet, aber auch an
Uri und Appenzell Innerrhoden, die das Modell 3/5 noch nicht umgesetzt haben.
Dieses sieht vor, dass die erste Fremdsprache ab der 3. Primarklasse und die
zweite ab der 5. Primarklasse unterrichtet wird.
Der Bundesrat setzt mit der Vorlage zudem ein Zeichen gegenüber
den Kantonen Basel-Landschaft, Glarus, Graubünden, Luzern, St. Gallen und
Zürich, in denen Initiativen (in Glarus der Regierungsrat) den Unterricht einer
zweiten Fremdsprache in der Primarschule infrage stellen. Dabei ist – meist
implizit – Französisch gemeint.
Der Bundesrat will vorschreiben, dass der Unterricht in
Französisch beziehungsweise Deutsch bereits in der Primarschule beginnt. Er
stellt dabei drei Varianten zur Diskussion, die den Kantonen unterschiedlich
viel Spielraum lassen. Vorschlag 1 sieht vor, dass der Unterricht in der
zweiten Landessprache spätestens ab dem 5. Primarschuljahr beginnen muss.
Variante 2 verankert das Modell 3/5 des Harmos-Konkordates im Sprachengesetz.
Darauf haben sich die Kantone 2004 geeinigt. 2014 bestätigten sie den
Entscheid.
Der Bundesrat bevorzugt Variante 3, die am wenigsten stark in die
Kompetenz der Kantone eingreift. Sie legt fest, dass der Unterricht in der
zweiten Landessprache in der Primarschule beginnt und bis zum Ende der
obligatorischen Schulzeit dauern muss.
Die Kantone seien für die Bildung zuständig, aber im Rahmen der
Bundesverfassung, sagte Berset vor den Medien. Föderalismus bedeute nicht, dass
jeder Kanton machen könne, was er wolle, ohne die Auswirkungen auf das Land zu
berücksichtigen. Berset verwies auf die Förderung der Mehrsprachigkeit und die
Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften, die dem Bundesrat ein Anliegen
seien. «Die Frage, ob man sich gegenseitig wirklich versteht, ist in einem Land
wie der Schweiz von eminenter Bedeutung», sagte der Innenminister.
Schwierige Diskussionen
Der angedrohte Eingriff des Bundes ist nicht im Sinne der
kantonalen Erziehungsdirektoren. Die Kantone seien enttäuscht, dass ihr grosser
Aufwand zur Schulharmonisierung nicht gewürdigt werde, sagt Christoph Eymann,
Präsident der kantonalen Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK). Über 20 Kantone
hätten das Modell 3/5 umgesetzt. Er sieht deshalb die Verhältnismässigkeit für
eine Bundesregelung nicht gegeben. Eymann warnt vor schwierigen Diskussionen im
Parlament und im Vorfeld einer Volksabstimmung. «Es kann dabei sehr viel
schieflaufen.»
Die Vorlage ist bis Mitte Oktober in der Vernehmlassung. Lenken
die fraglichen Kantone nicht ein, soll die Gesetzesrevision bereits 2017 in
Kraft treten. Dann könnte dem Kanton Thurgau die Verschiebung von Französisch
in die Sekundarstufe untersagt werden. Doch vorerst hofft Berset auf eine
gütliche Einigung: «Der Bundesrat würde es vorziehen, nicht eingreifen zu
müssen.»
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