Ausser bei den Heilpädagogen hat sich der Lehrermangel nicht verschlimmert. Dennoch spricht der Schulleiterverband von einer «angespannten Situation». Für das kantonale Volksschulamt hat sich die Lage aber nicht verschärft.
Im Kanton fehlen Heilpädagogen, Thurgauer Zeitung, 15.6. von Sina Bühler
Wie gravierend ist die Stellensituation an der Volksschule? Um diese jährlich wiederkehrende Frage nach dem aktuellen Lehrermangel zu beantworten, führten die Schulleiterverbände der Deutschschweiz (VSLCH) sowie der Romandie und des Tessins (Claceso) Ende Mai eine Umfrage unter ihren Mitgliedern durch. Von den 2020 angeschriebenen Schulen nahm über die Hälfte teil.Das Resultat: Die offenen Stellen konnten ungefähr gleich gut oder sogar knapp besser besetzt werden als im letzten Jahr. Nur 18 Prozent der Schulleitungen in der Schweiz schätzen die Situation schlechter ein.
Situation nicht dramatisch
Auch
im Kanton St. Gallen bleibt die Situation ziemlich unverändert. «Sie bewegt
sich seit drei bis vier Jahren etwa in gleichem Rahmen», sagt Alexander Kummer,
Leiter des kantonalen Amts für Volksschule. Genauere Zahlen für das kommende
Schuljahr erhalte das Amt erst in einigen Wochen. «Und ob tatsächlich gewisse
Stellen offen bleiben, wissen wir sogar im August.» Zum Vergleich: Laut Kummer
waren Ende Juni 2015 noch 3,75 Vollzeitstellen im Kanton unbesetzt, zum
Schuljahresbeginn 2015/16 waren das noch 1,54 Stellen.
Für
Kummer ist die Lage in St. Gallen nicht so dramatisch wie beispielsweise im
Kanton Zürich. Und auch weniger schlimm, als es die Resultate der Umfrage
vermuten liessen. Er setzt im übrigen Fragezeichen, was die Methodik des
Schulleiterverbandes angeht: «Ich kann damit nicht besonders viel anfangen. Es
wird nach sehr subjektiven Einschätzungen gefragt.» Besonders präzise Antworten
waren tatsächlich nicht möglich. So lautet die möglichen Einschätzungen auf die
Frage «Das Profil der Lehrpersonen stimmt mit dem Stellenprofil überein»:
«Immer», «oft» oder «selten». 17 Prozent der Schulleiterinnen und Schulleiter
wählten «immer», 74 Prozent «oft» und 9 Prozent «selten».
Mühe in zwei
Bereichen
Geht
es nun zu weit, daraus einen «erheblichen Qualitätsabbau» bei den Anstellungen
von Fachlehrern herauszulesen, wie es beispielsweise die «Sonntags-Zeitung»
getan hat? Ja, findet Alexander Kummer. Es stimme zwar, dass im Notfall auch
Lehrerinnen und Lehrer ohne Abschluss auf der entsprechenden Stufe angestellt
werden können, dies sei auch in St. Gallen so. «Allerdings sind diese Stellen
auf ein Schuljahr befristet und die Anstellung ohnehin nur möglich, wenn sich
keine Lehrkräfte mit dem entsprechenden Abschluss beworben haben», erklärt er. Nach
einem Jahr müsse die Stelle wieder ausgeschrieben werden oder die Lehrperson
bilde sich berufsbegleitend weiter. «Das ist heute viel einfacher geworden als
früher.» So müssten beispielsweise Primarlehrpersonen, die Realklassen
unterrichten, nur einzelne Fächer nachholen, um das Diplom als
Oberstufenlehrperson zu erlangen.
Die
St. Galler Schulen hätten vor allem in zwei Bereichen Mühe, qualifizierte
Lehrerinnen und Lehrer zu finden: bei den erwähnten Reallehrerinnen und bei den
Heilpädagogen. Letzteres bestätigt die Schulleiter-Umfrage: 84 Prozent haben
Schwierigkeiten, offene Stellen mit Heilpädagogen zu besetzen.
Bald
könnte ein weiteres Problem auf die Schulen zukommen. Bis vor einigen Jahren
konnten Pädagogik-Studierende nur zwischen zwei Fachrichtungen wählen: Phil I
(Sprachen) und Phil II (Mathematik). Heute ist jede Fachkombination möglich –
die Frage ist, ob dann bei Neuanstellungen die zu besetzenden Fachbereiche
genau auf die Ausbildung der Lehrperson passen.
Einstiegslöhne
erhöht
Laut
VSLCH hätten Schulleitungen ausserdem drauf hingewiesen, dass erhebliche
Lohnunterschiede zwischen den Kantonen die Stellenbesetzung sehr erschwerten.
Hier hat St. Gallen bereits gehandelt. Um eine Abwanderung von neu diplomierten
St. Galler Pädagogen zu verhindern, hat die Regierung Anfang Jahr entschieden,
den Einstiegslohn für Junglehrer in Kindergarten und Primarschule zu erhöhen.
Ob diese Strategie fruchtet, wird sich bald zeigen. Die Pädagogische Hochschule
erkundigt sich nämlich bei den frisch Diplomierten nicht nur, ob sie auf das
kommende Schuljahr eine Stelle haben, sondern auch in welchem Kanton das ist.
Die Diplome werden in der letzten Juniwoche vergeben.
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