"Die meisten Lehrerinnen und Lehrer sind längst im 21. Jahrhundert angekommen", Bild: Kostas Maros
"Die Zeit ist reif für den Lehrplan 21", Basler Zeitung, 16.4. von Thomas Dähler
BaZ: Herr Bühler, im Juni stimmt das Baselbiet über zwei Vorlagen zum
Lehrplan 21 ab. Was veranlasst die Juso, an der Mitgliederversammlung eine
Resolution zum Lehrplan 21 zu verabschieden?
Joël Bühler: Die Bildung ist ein Thema, zu dem wir als stärkste Jungpartei
unbedingt Stellung nehmen müssen. Uns ist es wichtig, dass wir ein
Bildungswesen haben, das den Anforderungen der Zukunft genügt. Der Lehrplan 21
bietet die Chance, das Bildungswesen für die Zukunft fit zu machen.
Die Volksvertreter im
Landrat stehen dem Lehrplan 21 mehrheitlich kritisch gegenüber. Weshalb sehen
Sie das anders?
Die Haltung des Landrats zum Lehrplan 21 ist Ausdruck der
politischen Realitäten in diesem Kanton. Wenn wir die Äusserungen im Landrat
und teilweise auch in der Regierung zur Bildung verfolgen, gibt uns das
ziemlich zu denken. Regierungsrätin Monica Gschwind hat letzten Sommer sogar
pauschal Schülerinnen und Schüler als faul bezeichnet, die statt eine
Lehrstelle zu suchen in eine weiterführende Schule wechseln. Im Landrat sind
Ideologien wichtiger als sachliche Überlegungen. Viele Diskrepanzen in der
Bildungspolitik sind durch die Machtpolitik bedingt. Im Vordergrund steht nicht
die Bemühung um ein zukunftsfähiges Bildungssystem.
Wer über die
Kantonsgrenzen hinausschaut, stellt fest, dass die Kritik zum Lehrplan 21 auch
von links kommt. Weshalb verläuft im Baselbiet die Auseinandersetzung entlang
der ideologischen Gräben?
Die Machtposition, bedingt durch die Mehrheitsverhältnisse im
Kanton Baselland, verleitet zu Arroganz und zur Haltung «So, jetzt regieren
wir». Die Rechtskonservativen haben sehr stark die Tendenz, die Positionen
nicht zu hinterfragen und stattdessen durchzumarschieren. Das halte ich für
gefährlich, wenn es um etwas geht, das für die Zukunft so wichtig ist wie die
Bildung.
Wie antworten Sie auf die
linke Kritik zum Lehrplan 21 aus Basel-Stadt oder anderen Kantonen?
Mir ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir den Lehrplan 21
durchaus kritisch beurteilen. Dieser Lehrplan hat gewisse Mängel, die wir
ebenfalls aufzeigen. Aber eben auch Chancen wie die Harmonisierung des
Bildungswesens in der ganzen Schweiz oder auch die neuen Lernformen, die
möglich werden. In der Primarschule ist der Lehrplan 21 jetzt bereits im ersten
Jahr der Einführung. Es wäre gefährlich, ihn jetzt wieder fallen zu lassen. Wir
hinterliessen so ein Chaos. In unserer Resolution formulieren wir auch
kritische Positionen und unterscheiden uns damit nicht grundsätzlich von
Genossinnen und Genossen aus anderen Kantonen.
Sie können den Lehrplan 21
nicht mehr verändern. Dieser ist nun mal bereits verabschiedet.
Dessen sind wir uns bewusst. Es ist aber auch so, dass der
Lehrplan 21 in erster Linie ein Rahmen für die Lehrerinnen und Lehrer ist und
ihnen nur die Richtung vorgibt, in die sie gehen sollen. Der Kanton behält auch
die Autonomie bei der Stundentafel, die er selber bestimmen kann. Und die
Lehrerinnen und Lehrer erhalten viel Freiraum für die Umsetzung des Lehrplans.
Deshalb sagen wir, wo es Verbesserungspotenzial hat, um bei einer Veränderung
in der Zukunft bereit zu sein.
Weshalb ist Ihrer Ansicht
nach gleichzeitig mit der Bildungsharmonisierung auch ein Lehrplan einzuführen,
der auf Kompetenzen statt auf Schulstoff ausgerichtet ist?
Es ist klar, dass Kompetenzen durch Schulstoff vermittelt werden
sollen. Es wird aber Zeit, dass wir die Bildungspolitik auf die heutigen
Realitäten ausrichten. Wer sieht, dass man mit Wissen allein nicht weiterkommt,
und es immer wichtiger wird, wie man das Wissen verarbeitet, erkennt auch, dass
die Kompetenzorientierung die richtige Richtung ist. Wir wollen den
Schülerinnen und Schülern das nötige Werkzeug geben, wie sie mit dem
verfügbaren Wissen umgehen sollen. Es braucht dazu ein grosses Fundament an
Grundlagenwissen. Das streiten weder wir noch der Lehrplan 21 ab.
Dennoch: Die
Kompetenzorientierung ist der Hauptkritikpunkt der Gegner des Lehrplans 21. Die
Kritik von links geht noch weiter. Sie führt aus, dass die Kompetenzorientierung
dazu verleitet, mit einfachen Tests abzuklären, ob jemand für eine Lehrstelle
infrage kommt.
Aus unserer Sicht ist dies eine grundsätzliche Tendenz. Diese hat
nicht wirklich mit dem Lehrplan 21 zu tun. Es ist schon richtig, den Vermessungswahn
zu kritisieren. Es wäre aber falsch, dies nur dem Lehrplan 21 anzukreiden und
so dieses wichtige Projekt infrage zu stellen.
Was sagen Sie zum Vorwurf,
man habe den Volksentscheid zur Harmonisierung dazu benutzt, das Bildungssystem
mit einem von Grund auf neuen Lehrplan zu verändern?
Ehrlich, die Zeit ist nun einmal reif für einen neuen Lehrplan. In
unserer Welt haben sich die Umstände enorm verändert. Die meisten Lehrerinnen
und Lehrer sind längst im 21. Jahrhundert angekommen. Andere sollten sich
in der Tat einmal überlegen, wie sie heute Schule geben möchten. Hier ist der
Lehrplan 21 ein guter Denkanstoss.
Wir stimmen im Kanton
Baselland auch über die Sammelfächer des Lehrplans 21 ab. Statt zwei Stunden
Geschichte und zwei Stunden Geografie soll es künftig drei Stunden «Räume,
Zeiten, Gesellschaft» geben. Ihre Resolution bezeichnet dies auch tatsächlich
noch als Fortschritt.
Wir sagen, dass Sammelfächer grundsätzlich ein Fortschritt sind.
Wir sehen es aber auch kritisch, dass damit Schulstunden gekürzt werden sollen.
Es gibt aber viele Zusammenhänge zwischen Geografie und Geschichte. Deshalb ist
es durchaus sinnvoll, die Fächer zu verknüpfen. In meiner eigenen Schullaufbahn
habe ich es vermisst, dass nie versucht wurde, Verbindungen herzustellen.
Mit den Sammelfächern
werden auch die Kompetenzen der Lehrkräfte kritisiert, die nur in einem Fach
ausgebildet sind und im anderen nur eine Schnellbleiche absolviert haben.
Das ist aus unserer Sicht auch nicht befriedigend. Wir sollten
nicht bei der Ausbildung sparen. Deshalb finden wir, dass es zusätzliche
finanzielle Mittel braucht, damit die Lehrerinnen und Lehrer entsprechend
weitergebildet werden können.
Der Lehrplan 21
unterscheidet nicht zwischen den verschiedenen Sekundarschul-Niveaus. Weshalb
sehen Sie die Niveaus ebenfalls kritisch?
Wir stellen fest, dass Schülerinnen und Schüler nicht überall die
gleichen Stärken und Schwächen haben. Es kann deshalb nicht sein, dass die
Schülerinnen und Schüler einfach in gute oder schlechte Töpfe verteilt werden.
Ein exzellenter Aufsatzschreiber ist nicht unbedingt auch ein Mathe-Genie.
Deshalb sollten wir mehr Durchlässigkeit ermöglichen. Heute ist die Isolation
in den Niveaus so stark, dass niemand vom Wissen der anderen profitieren kann
und mit den Lebenssituationen anderer konfrontiert wird. Das halten wir für
gefährlich.
Ihr Positionspapier
enthält auch klassenkämpferische Töne. Ihr Kampf für ein fortschrittliches
Bildungssystem sei auch ein Kampf für eine andere Wirtschaft, ist darin zu
lesen.
Für uns ist klar, dass die Bildung in einem Wirtschaftssystem eine
wichtige Rolle spielt. Das erfahre ich auch persönlich in meinem
Wirtschaftsstudium. Dieses könnte einem theoretisch zu einem kritischen Blick
befähigen. Es kann aber auch nur dazu führen, gegebene Tatsachen hinzunehmen,
wie sie sind. Nur wer sich Fragen zum System stellt – etwa zum Umstand, dass
Millionen Menschen auf der Welt hungern –, überlegt sich auch
Handlungsalternativen.
Glauben Sie nicht, dass
unser heutiges Bildungssystem in der Schweiz die Grundlage des wirtschaftlichen
Erfolgs unseres Landes ist?
Wenn das Bildungssystem eine der Grundlagen unseres Erfolgs ist,
rechtfertigt das noch keinesfalls ein Ausruhen. Wir müssen uns überlegen, was
wir falsch machen und wo wir ansetzen können.
Sie möchten finanziell
mehr in die Bildung investieren. Ist uns die Bildung heute zu wenig wert?
In der Schweiz ist die Tendenz feststellbar, die Bildung immer
stärker zu vernachlässigen. Es braucht mehr Mittel. Das bedeutet aber nicht,
dass wir uns stärker in die Abhängigkeit von Firmen begeben dürfen. Wichtiger
wäre es, Reiche und grosse Unternehmen dazu zu bringen, einen angemessenen
finanziellen Beitrag über Steuern zu leisten. Es geht nicht, dass diese vor
allem überlegen, wie sie keine Steuern bezahlen müssten.
An wen richtet sich die
Juso-Resolution zum Lehrplan 21?
An verschiedene Zielgruppen. Sie richtet sich an die
Öffentlichkeit und ganz besonders an die Jungen.
Auch an die Kritiker in
der Mutterpartei?
Mit der Arbeit der SP sind wir zufrieden. Sie setzt sich dafür
ein, dass die Bildung den nötigen Stellenwert hat und die nötigen finanziellen
Mittel erhält.
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