«Demokratie ist halt
wirklich eine schwierige Staatsform, besonders für alle jene, die sich an
Widerspruch nicht mehr so recht gewöhnen können, weil sie auf einem Thron
hocken und fast nur von Ja-Sagern umgeben sind.» Der kluge Satz von
SP-Bundesrat Willi Ritschard ist satte 35 Jahre alt. An Aktualität hat er
nichts eingebüsst.
Besonders
anstrengend ist die direkte Demokratie. Alle wollen mitreden und mitbestimmen.
Die Entscheidungsprozesse werden dadurch kompliziert und träge. Parlament und
Volk stören, wirken wie Sand im Getriebe. Nicht wenige Regierungen fühlen sich
in ihrer freien Entfaltung behindert.
Die
Liste der Themen, in denen der notwendige Durchblick ausschliesslich den Profis
in Politik und Wirtschaft zugebilligt wird, verlängert sich unablässig und
umfasst unterdessen die unterschiedlichsten Probleme.
Demokratie kann sehr mühsam sein, Roland Stark, Basler Zeitung, 28.4.
Nach
dem Nein der Niederländer im Referendum über das Assoziierungsabkommen mit der
Ukraine hat sich der luxemburgische Aussenminister Jean Asselborn gegen weitere
Volksabstimmungen gewandt. «Das Referendum ist kein geeignetes Instrument in
einer parlamentarischen Demokratie, um komplexe Fragen zu beantworten. Wenn man
Europa kaputt machen will, dann braucht man nur mehr Referenden zu
veranstalten.»
Und
einige Etagen tiefer antwortet der Präsident der Schweizer
Erziehungsdirektorenkonferenz auf die Bemerkung der Zeit, er hätte ja den Lehrplan 21
auch nicht durch einen Volksentscheid absegnen lassen müssen, kurz und trocken:
«Zum Glück nicht, muss ich ehrlicherweise sagen.»
Nun
kann nicht ernsthaft bestritten werden, dass in Volksabstimmungen häufig
Denkzettel und Ohrfeigen verteilt werden und der tatsächliche politische Inhalt
in den Hintergrund tritt oder gar völlig verschwindet. Niemand glaubt doch,
dass in den Niederlanden jemand den Vertrag mit 177 Seiten und die 46 Anhänge
und drei Protokolle mit weiteren 1958 Seiten gelesen hat. Die Niederländer
hätten durch seriöse Lektüre erfahren können, dass die Ukraine auf frische
Perlhühner einen Grundzoll von 15 Prozent erhebt, während es auf gefrorene nur
12 Prozent sind. Auf falsche Bärte wird immer derselbe Zoll eingetrieben, seien
sie nun aus echten Haaren oder aus synthetischen Fasern. 10 Prozent. Nein,
darum ging es nicht. Das Volk – beziehungsweise die bescheidenen 32
Prozent aktive Bürgerinnen und Bürger – wollte der Regierung einen
tüchtigen Gingg ans Schienbein versetzen und das «böse Brüssel» bestrafen.
Nicht
viel anders verlaufen die Debatten über den Lehrplan 21, Harmos, Integration
und andere Reformen. Zweifellos gibt es viel mehr Kritiker des bürokratischen
Lehrplan-Ungetüms als Leser. Kaum jemand wird freiwillig die Mühen und Qualen
auf sich nehmen, sich durch die unzähligen Kompetenzen, Teilkompetenzen,
Kompetenzraster und Kompetenzstufen zu wühlen. Das spürbare Unbehagen, auch in
linken Kreisen, entstammt vielmehr der Tatsache, dass einschneidende Reformen
durch eine überbordende und unkontrollierte Bildungsbürokratie durchgezwängt
wurden. An Parlament und Volk vorbei. Die entscheidende Frage ist darum, ob die
demokratische Kontrolle über die Entwicklung unseres Schulwesens zurückgewonnen
werden kann.
Selbstverständlich
wäre es für die Regierenden bequemer, wenn sie die Themen selbst bestimmen
könnten, über die das lästige Stimmvolk diskutieren und entscheiden darf. Die
wortreichen Beschwörungen der Volkssouveränität würden dann aber noch mehr zu
billigen Sonntagsreden degradiert.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen