Erinnern Sie sich noch lebhaft an spannende Geschichtsstunden aus
der Schulzeit? Oder kommt eher Missmut auf, wenn Sie an langweilige Lektionen
mit seitenlangen Hefteinträgen zurückdenken? Die Antworten werden unterschiedlich
ausfallen, denn guter Unterricht hängt von der fachlichen und pädagogischen
Kompetenz der Lehrpersonen ab. Die Diskussion um den neuen Lehrplan lässt
allerdings oft den Eindruck entstehen, dass gute Bildung primär eine Sache
detaillierter Planung sei.
Neuer Lehrplan ist fragwürdig, Basler Zeitung, 9.9. von Hanspeter Amstutz
Ein
Blick auf den Teillehrplan Geschichte zeigt, wie sich die
Bildungsverantwortlichen die innere Reform der Schule vorstellen. Neben vielen
einleuchtenden Kompetenzzielen finden sich Ziele, die weit weg von der Welt der
Kinder und Jugendlichen sind. Man spürt auf jeder Seite, dass hinter den verschlossenen
Türen des letztjährigen EDK-Lehrplankonzils zwischen den Fachwissenschaftlern
und den Lehrervertretern um praxisnähere pädagogische Vorstellungen gerungen
wurde.
Farbige
geschichtliche Ereignisse werden zu leblosem Schulstoff, wenn der Ungeist eines
wenig altersgemässen Reflektierens überhandnimmt. Die Pädagogen haben leider
diese Gefahr nicht beseitigen können. Man reibt sich die Augen, wenn von
Sechstklässlern als Grundkompetenz verlangt wird, dass sie bei den Urschweizern
«den Weg von einer familienrechtlichen Gesellschaft zu einem Territorialrecht
mit rechtsstaatlichen Ansätzen erkennen». Alles verstanden?
Noch
kühner ist die Vorstellung, Kinder könnten bereits objektiv die Entstehung der
Eidgenossenschaft beurteilen. Die Formulierung, dass «unterschiedliche
Sichtweisen von Vergangenheit mit aktuellen Interessen in Zusammenhang stehen»,
ist wohl eher ein Kompetenzziel für Lehrpersonen.
Kinder
wollen Geschichte in spannenden Erzählungen und eindrücklichen Bildern
miterleben. Die Höhepunkte der Sturm-und-Drang-Zeit der Eidgenossenschaft mit
den Siegen in den Burgunderkriegen interessieren Primarschüler weit mehr als
eine aktuelle politische Deutung der Niederlage von Marignano.
Gut
vorbereiteter narrativer Geschichtsunterricht lässt Kinder und Jugendliche in
vergangene Zeiten eintauchen und das Wesentliche einer Epoche erkennen. So
lässt sich die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg viel besser verstehen, wenn die
Fahrt der «Titanic» während einer Woche als eine Art Fortsetzungsgeschichte
von der Klasse miterlebt wird. Die Dreiklassengesellschaft von damals, die
neuste Technik auf dem Schiff, die wirtschaftlichen Interessen der Reederei und
das Schicksalhafte jener Fahrt lassen die Jugendlichen nicht unberührt. Die
grossen Fragen stellen sich von allein, und dann kann man auch anspruchsvolle
Überlegungen anstellen. Akademische Kompetenzziele hingegen sind für einen
lebendigen Geschichtsunterricht kaum motivierend.
Für
die Schulentwicklung darf der neue Lehrplan nicht unterschätzt werden. Dieser
ist die Basis für die didaktische Ausrichtung der Pädagogischen Hochschulen.
Eine kritiklose Übernahme des neuen Kompetenzenmodells in Fächern wie
Geschichte oder Naturwissenschaften hat erhebliche Auswirkungen auf den täglichen
Unterricht. Wünschbar wäre jetzt eine offene Diskussion über bessere kantonale
Lehrpläne, damit die nötigen Korrekturen in die Wege geleitet werden können.
Hanspeter
Amstutz, Fehraltorf, ist Mitautor des lehrplankritischen Manifests «550 gegen
550». Er war lange Zeit Zürcher Kantons- und Bildungsrat sowie Sekundarlehrer.
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