26. August 2015

Negative Auswirkungen offener Unterrichtsformen

Die Heilpädagogin und Bloggerin Elisabeth Calcagnini sprach auf einer Wanderung mit einer erfahrenen MIttelstufenlehrerin. Thema: die selbst gesteuerten Lernformen.





Calcagnini: Die Lernziele der ersten drei Primarschuljahre werden nicht erreicht, Bild: Südostschweiz

Verschwendete Lernzeit, Schulblog Südostschweiz, 25.8. von Elisabeth Calcagnini



Sie übernimmt ihre Schülerinnen und Schüler jeweils nach drei Jahren Unterstufe und stellte grosse Unterschiede fest zwischen einer früheren Klasse, die noch in den Genuss von geführtem und strukturiertem Klassen-Unterricht mit klaren Lernzielen gekommen ist und ihrer letzten Klasse, deren Lehrerin von Anfang an mit den seit einigen Jahren propagierten offenen, selbst gesteuerten Lernformen wie zum Beispiel Wochenplan arbeitet.
Meine Wanderkollegin schilderte sehr anschaulich, dass sie weit mehr als ein halbes Jahr benötigte, bis diese Kinder ihre Lücken im Stoff einigermassen geschlossen und ihre Defizite im sozialen Bereich verbessert hatten. Dies war nur möglich, weil sie zum Glück von den besorgten Eltern darin unterstützt wurde, mit den verunsicherten Kindern Schritt für Schritt den Schulstoff aufzuholen, die Grundlagen zu festigen und gemeinsam zu lernen.
«Besonders beschäftigt hat mich die deutlich spürbare Konkurrenz, die in dieser Klasse aufgrund des ständigen Vergleichs herrschte. Ein konstruktives Miteinander war nicht möglich, es ging immer darum, wer schneller fertig ist, eine fiebrige Stimmung auf Kosten der schwächeren», erzählte sie.

Im Klassenunterricht lernen die Kinder in der gemeinsamen Auseinandersetzung mit dem Stoff. Im vorwiegend individualisierten Unterricht hingegen sind sie zu oft sich selbst überlassen, lösen ihre Aufgaben als Einzelkämpfer und so wird leider wertvolle Lernzeit verschwendet. Viele Kinder verlieren die Motivation, es geht in erster Linie um das Abhaken oder Erledigen von Aufträgen, zu denen sie wenig inneren Bezug haben.

«Ich versicherte den Kindern immer wieder, dass sie alle den Schulstoff lernen würden, dass es aber Zeit und viel Übung braucht. Auch verlangte ich von ihnen, dass sie den anderen zuhören und aufeinander eingehen. Es war ein hartes Stück Arbeit. Mit der Zeit wurde die Entspannung spürbar. Die Kinder konnten jetzt das kleine Einmaleins und beherrschten den Zahlenraum von 1 bis 1000. Sie hatten die vorher katastrophale Rechtschreibung verbessert, den Wortschatz vergrössert und schrieben nun leserliche Sätze in der Schulschrift.»

Dies wären eigentlich die Lernziele in den ersten drei Jahren der Primarschule: wichtige Grundlagen und die Voraussetzung dafür, dass in der vierten Klasse weiterführend darauf aufgebaut werden kann.

Die Lehrerin, die ihre Mittelstufenschüler nun abgegeben hat, bringt Verständnis für die betreffende Lehrperson auf, es fehle ihr noch die Erfahrung und in der Ausbildung würden nur noch diese aufgabenbasierten, selbstentdeckenden Methoden vermittelt. Der vom Lehrer geführte Klassenunterricht wird heute von den 'Reformern' abgelehnt. Sie beklagte jedoch, dass die negativen Auswirkungen dieser offenen Unterrichtsformen, die bereits allerorten beobachtet werden, nicht zu einer Debatte führen. Trotz der sichtbaren Defizite stellt man nicht etwa die Lernmethode infrage, sondern es werden höchstens bessere Lernumgebungen und angepasste Lehrmittel gefordert. Dies ist eine fatale Entwicklung. Als eine der schlimmsten Folgen bezeichnete sie die Vereinzelung der Kinder, die immer mehr auf sich selbst bezogen bleiben und die Verlorenheitsgefühle vor allem der schwächeren unter ihnen.

Diese Kinder hatten das Glück, ihre weiteren Schuljahre von einer Lehrerin unterrichtet zu werden, der es gelungen ist, die Defizite aufzuarbeiten. Doch welches sind die Folgen für all die anderen?


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