Leserbrief, NZZ, 28.8. von Gisela Ana Cöppicus Lichtsteiner
Selbständiges Denken nimmt ab, und die Kompetenzorientierung senkt das Bildungsniveau; Lehrpläne werden zur aberwitzigen Ansammlung von Teilkompetenzen. Darin geht es nicht um geistige Selbständigkeit, sondern um «Anpassungsfähigkeit» - und «um die Steuerbarkeit und Steuerung von Menschen . . ., indem man ihnen das Denken abgewöhnt», so Krautz.
Wie gut aber funktionieren solcherart geschulte Menschen in der wirklichen Welt? In der psychotherapeutischen Praxis werden oft narzisstisch gestörte, intelligente, aber überhebliche junge Menschen gesichtet, die sich vom Internet-Wissen nähren, aber beruflich kaum auf die Beine kommen, dafür aber noch bzw. wieder im Haus der Eltern wohnen und Arbeitslosengeld oder sogar Invalidenrente beziehen. Sie machen den Eindruck von hochintelligenten Möchtegern-Nerds, sind aber untauglich gegenüber den Anforderungen des Alltags. Dazu sind sie stark beziehungsgestört, sensibel, introvertiert mit Neigung zu zwanghaftem Verhalten und psychosomatischen Störungen.
Ist das das untere Ende der Kompetenzkonzept-Strategie? Mehr Selbsterkenntnis also, wobei wir wieder im psychotherapeutischen Feld angelangt sind. Mehr selbständiges Fragen und Denken ist angesagt. Und damit wir bei alldem doch noch etwas zu lachen haben: Im Jahr 2000 erhielten Dunning und Kruger für ihre Studie den satirischen Ig-Nobelpreis im Bereich Psychologie. Dieser «Anti-Nobelpreis» ist eine satirische Auszeichnung, um wissenschaftliche Leistungen zu ehren, die «Menschen zuerst zum Lachen, dann zum Nachdenken bringen».
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