Bersets leere Behauptung, Weltwoche 09/2015 von Philipp Gut
Es sind Töne, wie man sie in der friedlichen, vielfältigen und
föderalistischen Schweiz selten hört. «Verwaltung und Politiker skizzieren
Ideen, um abweichende Kantone zu disziplinieren», meldete der Tages-Anzeiger. Die
Sache sei «nicht verhandelbar». Die Regierung in Bern und mit ihr eine Reihe
von National- und Ständeräten sieht gar den «nationalen Zusammenhalt» in
Gefahr.
Das klingt fast, als stehe ein neuer
Sonderbundskrieg bevor. Keine Verhandlungen, keine Gefangenen. Bedingungslose
Kapitulation.Dabei ist das Thema, das die Zentralregierung mit der Keule drohen
lässt, vergleichsweise harmlos. Es geht um die Frage, ob in der Primarschule
als erste Fremdsprache Englisch unterrichtet wird statt einer zweiten
Landessprache, meist Französisch.
SP-Bundesrat Alain Berset, selber
französischsprachig, hat schon wiederholt ein autoritäres Eingreifen des Bundes
angedroht, falls sich einzelne Kantone erdreisteten, Englisch dem Französischen
vorzuziehen. Nun erhält der welsche Magistrat, wen wundert’s, Rückendeckung
durch seine eigenen Beamten. Der Bund sei durch die Verfassung sogar
verpflichtet, gegen widerspenstige Kantone vorzugehen und das Primat des
Französischen durchzusetzen, schreibt das Bundesamt für Kultur in einem
Bericht, den es letzte Woche vorstellte.
Dieser Publikationstermin dürfte kein Zufall sein.
Am 8. März stimmt der Kanton Nidwalden über eine Volksinitiative ab, die nur noch
eine Fremdsprache auf der Primarstufe will. In anderen Kantonen laufen ähnliche
Bestrebungen. Das Thurgauer Parlament möchte den obligatorischen
Französischunterricht aus dem Lehrplan der Primarschule entfernen. St. Gallen
prüft ebenfalls eine Verschiebung auf die Oberstufe. Und in Luzern, Graubünden
und jüngst in Zürich gibt es Volksinitiativen mit dem Ziel, dass auf der
Primarstufe nur noch eine Fremdsprache unterrichtet wird.
Diese Vorstösse kommen von unten – und aus der
Praxis. Treibende Kräfte sind vielerorts die Lehrer. Sie argumentieren aus der
täglichen Erfahrung: Viele Schüler, vor allem solche ausländischer Herkunft,
hätten schon genug Mühe mit dem Deutschen.
Zudem wissen die betroffenen Lehrer, dass das vor
einigen Jahren mit viel Aufwand eingeführte Frühfranzösisch kaum etwas bringt.
Ob ein Schüler schon in der Primarschule in den Genuss von
Französischunterricht kommt oder erst ab der Oberstufe: Die Leistungen am Ende
der obligatorischen Schulzeit unterscheiden sich nicht. Das zeigen auch
verschiedene nationale und internationale Studien.
Sachlich gibt es daher keinen Grund, die erwähnten
Vorstösse in den Kantonen zu verbieten. Zumal der Siegeszug des Englischen als
Lingua franca, als Weltsprache, die überall gebraucht und verstanden wird,
ungebremst voranschreitet.
Mit Verlaub, Monsieur Berset: Ihre Behauptung, es
stehe nichts Geringeres als der Zusammenhalt des Landes auf dem Spiel, ist
sinnleere Rhetorik. Ist etwa das Tessin aus der Schweiz ausgetreten, bloss
weil unsere Drittklässler nicht Italienisch lernen? Natürlich nicht.
Vermutlich spüren die Zentralisten selber, dass
ihnen die Argumente fehlen. Wieso sonst rufen sie nach Zwang, Disziplinierung
und «Bundesintervention», wie Christoph Eymann, der Präsident der
Erziehungsdirektorenkonferenz?
Die Schweiz ist mit ihrem Föderalismus in
Bildungsfragen gut gefahren. Warum das so ist, zeigt gerade auch der aktuelle
Streitfall: Föderalistische Politik ist näher bei den Bürgern. Und näher bei
der Wirklichkeit.
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