3. März 2015

Kriegerische Töne - fehlende Argumente

Der Streit um das Schulfranzösisch eskaliert. Der Bund schlägt martialische Töne an und droht den Kantonen. Ihm fehlen die sachlichen Argumente.
Bersets leere Behauptung, Weltwoche 09/2015 von Philipp Gut


Es sind Töne, wie man sie in der friedlichen, vielfältigen und föderalistischen Schweiz selten hört. «Verwaltung und Politiker skizzieren Ideen, um abweichende Kantone zu ­disziplinieren», meldete der Tages-Anzeiger. Die Sache sei «nicht verhandelbar». Die Regierung in Bern und mit ihr eine Reihe von Na­tional- und Ständeräten sieht gar den «nationalen Zusammenhalt» in Gefahr.
Das klingt fast, als stehe ein neuer Sonderbundskrieg bevor. Keine Verhandlungen, keine Gefangenen. Bedingungslose Kapitulation.Dabei ist das Thema, das die Zentralregierung mit der Keule drohen lässt, vergleichsweise harmlos. Es geht um die Frage, ob in der Primarschule als erste Fremdsprache Englisch unterrichtet wird statt einer zweiten Landessprache, meist Französisch.
SP-Bundesrat Alain Berset, selber französischsprachig, hat schon wiederholt ein autoritäres Eingreifen des Bundes angedroht, falls sich einzelne Kantone erdreisteten, Englisch dem Französischen vorzuziehen. Nun erhält der welsche Magistrat, wen wundert’s, Rückendeckung durch seine eigenen Beamten. Der Bund sei durch die Verfassung sogar verpflichtet, gegen widerspenstige Kantone vorzugehen und das Primat des Französischen durchzusetzen, schreibt das Bundesamt für Kultur in ­einem Bericht, den es letzte Woche vorstellte.
Dieser Publikationstermin dürfte kein Zufall sein. Am 8. März stimmt der Kanton Nidwalden über eine Volksinitiative ab, die nur noch eine Fremdsprache auf der Primarstufe will. In anderen Kantonen laufen ähnliche Bestrebungen. Das Thurgauer Parlament möchte den obligatorischen Französischunterricht aus dem Lehrplan der Primarschule ent­fernen. St. Gallen prüft ebenfalls eine Verschiebung auf die Oberstufe. Und in Luzern, Graubünden und jüngst in Zürich gibt es Volksinitiativen mit dem Ziel, dass auf der Primarstufe nur noch eine Fremdsprache ­unterrichtet wird.
Diese Vorstösse kommen von unten – und aus der Praxis. Treibende Kräfte sind vielerorts die Lehrer. Sie argumentieren aus der täglichen Erfahrung: Viele Schüler, vor allem ­solche ausländischer Herkunft, hätten schon ­genug Mühe mit dem Deutschen.
Zudem wissen die betroffenen Lehrer, dass das vor einigen Jahren mit viel Aufwand eingeführte Frühfranzösisch kaum etwas bringt. Ob ein Schüler schon in der Primarschule in den Genuss von Französischunterricht kommt oder erst ab der Oberstufe: Die Leistungen am Ende der obligatorischen Schulzeit unterscheiden sich nicht. Das zeigen auch verschiedene nationale und internationale Studien.
Sachlich gibt es daher keinen Grund, die ­erwähnten Vorstösse in den Kantonen zu verbieten. Zumal der Siegeszug des Englischen als Lingua franca, als Weltsprache, die überall gebraucht und verstanden wird, ungebremst voranschreitet.
Mit Verlaub, Monsieur Berset: Ihre Behauptung, es stehe nichts Geringeres als der Zu­sammenhalt des Landes auf dem Spiel, ist sinn­leere Rhetorik. Ist etwa das Tessin aus der Schweiz ausgetreten, bloss weil ­unsere Drittklässler nicht Italienisch lernen? ­Natürlich nicht.
Vermutlich spüren die Zentralisten selber, dass ihnen die Argumente fehlen. Wieso sonst ­rufen sie nach Zwang, Disziplinierung und «Bundesintervention», wie Christoph Eymann, der Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz?

Die Schweiz ist mit ihrem Föderalismus in Bildungsfragen gut gefahren. Warum das so ist, zeigt gerade auch der aktuelle Streitfall: Föderalistische Politik ist näher bei den Bürgern. Und näher bei der Wirklichkeit.

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