Berthele: "Zu glauben, dass man über Sprachaustausch wundersam Kenntnisse explodieren lassen kann, wäre naiv".
Frühenglisch-Debatte: Bühne für gesellschaftliche Kämpfe, SRF, 4.3. von Martina Mieth Polke
SRF «Einstein»: Zurzeit wird darüber diskutiert, ob Schulen vermehrt
Sprachaustäusche mit Schülern organisieren sollen. Was halten sie von dieser
Diskussion?
Raphael Berthele: Der
Sprachaustausch wird in jüngster Zeit fast schon als eine Art
sprachpädagogische Wunderwaffe postuliert, wenn es darum geht, die vermeintlich
fehlende Wirksamkeit des traditionellen Fremdsprachenunterrichts aufzuwiegen.
Sprachaustausch ist, wenn er geschickt organisiert wird, didaktisch sicher
interessant. Es hilft, die Kontaktstunden zu erhöhen und zeigt auch den
Schülern, dass man tatsächlich in einer Fremdsprache kommunizieren und etwas
erleben kann. Aber zu glauben, dass man über Sprachaustausch wundersam
Kenntnisse explodieren lassen kann, wäre naiv. Zwang zum Austausch würde oft
wohl genau das Gegenteil dessen erreichen, was angestrebt war. Ausserdem ist es
auch schwierig die Schüler unterzubringen, denn auf jedes welsche Kind kämen
ungefähr 2,5 Deutschschweizer Kinder.
Bei der Diskussion ums Frühenglisch geht die Angst
um, in einer globalisierten Wirtschaft nicht mehr mithalten zu können. Beim
Frühfranzösisch sind es regionalpolitische Überlegungen. Sollten die Kinder
nicht lieber eine Sprache richtig lernen, statt zwei ein bisschen?
Im Moment will die Bildungspolitik in der Schweiz
und auch in Europa Mehrsprachigkeit fördern. Dies bedeutet aber nicht, dass man
in zwei oder mehr Sprachen der Perfektion nachjagt, sondern es sollen einfach
rudimentäre sprachliche Fähigkeiten aufgebaut werden. Diese können die Kinder
später je nach persönlichen Vorlieben und Bedürfnissen ausbauen.
Studien zeigen, dass ältere Schüler einen
Startvorteil haben. Sie lernen also schneller als die jüngeren. Ist das
Frühenglisch also für die Katz?
Wenn man von den Fremdsprachenkenntnissen der
Schüler nach Ende der obligatorischen Schulzeit ausgeht, dann spielt der genaue
Zeitpunkt des Beginns keine Rolle. Der Frühbeginn könnte aber Vorteile haben,
wenn es darum geht, eine positive Haltung gegenüber einer Fremdsprache zu
entwickeln.
Heute gibt es ja bereits Kinderkrippen, in denen
Englisch gesprochen wird.
Englischsprachige Kinderkrippen sind wohl vor allem
ein gutes Mittel, um mit Sprachkenntnissen soziale Unterschiede deutlich zu
machen. Man kann schon seit längerem beobachten, dass Sprachenfragen im
vorschulischen Bereich immer mehr zu einer Bühne werden, auf der
gesellschaftliche Kämpfe ausgetragen werden. Von Hochdeutschzwang bis
Mundartdiktat in Krabbelgruppen hat man da in der Vergangenheit schon alles
Mögliche postuliert und es geht in der Regel nicht direkt um Sprache, sondern
um gesellschaftliche Fragen der Integration oder der mehr oder weniger
bewussten Abgrenzung.
Wie können Eltern ihre Kinder optimal auf den
Fremdsprachenunterricht vorbereiten?
Ich sehe nicht ein, weshalb Eltern ihre Kinder
jetzt auch noch spezifisch auf den Fremdsprachenunterricht vorbereiten sollen.
Sie können sich vielleicht innerlich schon mal darauf vorbereiten, dass sie
ihren Kindern dann bei den Hausaufgaben in zwei Fremdsprachen helfen müssen.
Welchen Fremdsprachenunterricht würden Sie sich an
den Schulen wünschen?
Ich bin ein genügsamer Mensch. Wenn
Fremdsprachenunterricht in der Schule die Freude an Sprachen nicht verdirbt,
ist sicherlich schon viel erreicht. Wenn am Ende der obligatorischen Schulzeit
gewisse kommunikative Fertigkeiten so ausgebildet sind, dass man sich in den
zwei Fremdsprachen schon mal durchschlagen kann, so ist das sicherlich schon
etwas wert. Wenn der Sprachunterricht die Lust am Sprachenlernen oder das
Interesse für Sprachen und Kulturen weckt, wäre das sogar richtig toll.
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