Eine Atempause im Sprachenstreit, NZZ, 10.3. von Andrea Kucera
Hat die Angst vor einem Eingreifen Bundesberns die
Stimmbürger von Nidwalden davon abgehalten, sich gegen die Abschaffung des
Französischunterrichts in der Primarschule auszusprechen? Ja, schreibt die
Kommentatorin der Waadtländer Zeitung «24 heures». Der Halbkanton sei zu
isoliert und zu klein, um sich allein gegen ein drohendes Machtwort des
Bundesrats wehren zu können. Diese «peur du gendarme» sei das entscheidende
Argument gewesen und nicht der Wille, die Romands nicht vor den Kopf zu
stossen.
Ein Sieg, der keiner ist
Mit dieser Haltung ist «24 heures» nicht allein.
Auch die Freiburger Zeitung «La Liberté» schreibt, die Ablehnung der
SVP-Initiative erkläre sich hauptsächlich mit der Angst vor dem Alleingang.
Eine Grundsatzdebatte über die eigentliche Frage - die Wirksamkeit des
Frühfranzösisch - habe im Abstimmungskampf kaum stattgefunden. Entscheidend sei
die Frage gewesen, ob es sich der kleine Kanton leisten könne, den Winkelried
zu spielen.
Das Bekenntnis zum Frühfranzösisch der Nidwaldner
sei «une victoire qui est trompeuse» - «Ein Sieg, der keiner ist», urteilt die
Zeitung. Das Abstimmungsresultat sei kein Bekenntnis zum Zusammenhalt des
Landes und kein Ausdruck der Liebe für die französische Sprache. Vielmehr sei
es eine Warnung: Es müsse als Aufforderung interpretiert werden, die Debatte
weiterzuführen und namentlich die Luzerner Stimmbürger - die als Nächste über
den Fremdsprachenunterricht abstimmen werden - vom Frühfranzösisch zu
überzeugen. Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung, lautet also das Fazit.
Enthusiastischer kommen die Wortmeldungen auf
Twitter daher. «Herzlichen Dank liebe Nidwaldnerinnen und Nidwaldner! Ich freue
mich auf diese Schweiz», schreibt etwa der Waadtländer SP-Nationalrat Jean
Christophe Schwaab - auf Deutsch. Von einer Atempause im Sprachenstreit spricht
schliesslich die Zeitung «Le Temps». Der Nidwaldner Entscheid habe viele im
Land erleichtert, heisst es im Kommentar. Allen voran die Romands, die ein Nein
zum Frühfranzösisch als Beleidigung aufgefasst hätten. Aber auch die
eidgenössische Konferenz der Erziehungsdirektoren (EDK) könne aufatmen: Ihr
fragiler Kompromiss gelte weiterhin. Und nicht zuletzt nehme das Resultat Druck
von Innenminister Alain Berset, der angekündigt hatte, er werde in den
Sprachenstreit eingreifen, sobald ein Kanton die definitive Abkehr vom
Frühfranzösisch beschliesse.
Den Dialog vorantreiben
Die Zeitung schliesst mit einer Aufforderung an die
Adresse all jener, denen der Zusammenhalt des Landes am Herzen liege: Sie
sollten nicht passiv den nächsten Volksentscheid zum Fremdsprachenunterricht
abwarten, schreibt «Le Temps». Vielmehr gelte es, die Atempause zu nutzen, um
den Dialog zwischen den Sprachgruppen unabhängig vom Abstimmungskalender
voranzutreiben. Die Antwort darauf, wie dies bewerkstelligt werden soll, bleibt
die Zeitung indes schuldig.
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