11. Februar 2015

Demokratischer Test für das Frühfranzösisch

Noch haben die Kantone Zeit, sich im Fremdsprachenstreit zu einigen. Ob dies gelingt, hängt auch vom Stimmvolk in Nidwalden ab.


Die Nidwaldner stimmen am 8. März über die Fremdspracheninitiative ab, Bild: Christian Beutler

Demokratischer Test für das Frühfranzösich, Tages Anzeiger, 11.2. von Anja Burri



Die Drohkulisse ist aufgebaut. Sollten ­gewisse Deutschschweizer Kantone ihren Primarschülern nur noch Englisch als Fremdsprache beibringen und die Landessprachen Französisch oder Italienisch auf die Sekundarstufe verschieben, will Bundesrat Alain Berseteinschreiten. Das hat der Kultur- und ­Innenminister im vergangenen Jahr ­wiederholt durchblicken lassen.
Definitiv abgerechnet wird im nächsten Sommer. Bis dann müssen die kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) nämlich Bilanz ziehen, ob sie ihre eigene Fremdsprachenstrategie erfüllen. Gemäss dieser sollen alle Primarschüler in der Schweiz zwei Fremdsprachen – und davon eine zweite Landessprache – lernen müssen.
Bereits viel früher, nämlich am nächsten Abstimmungssonntag vom 8. März, wird Bundesrat Berset gespannt nach Nidwalden blicken. Dort entscheidet das Stimmvolk über die Fremdspracheninitiative der SVP, die verlangt, dass in der Primarschule nur noch eine Fremdsprache unterrichtet werden muss. Sagen die Nidwaldner Ja zum Volksbegehren, müssten die Schüler künftig erst ab der siebten Klasse Französisch lernen. Die einzige obligatorische Fremdsprache für die Primarschüler wäre Englisch.
Es droht ein Dominoeffekt
Nach dem Kanton Thurgau, dessen Parlament im vergangenen Jahr das Frühfranzösisch abschaffte, würde sich damit ein zweiter Kanton demokratisch ­legitimiert von der Sprachenstrategie der EDK verabschieden. Weiter ist ein Dominoeffekt zu befürchten: Auch in Luzern und Graubünden sind Fremdsprachen­initiativen hängig. Anderswo laufen ähnliche Bemühungen. Für die EDK dürfte es in der Folge immer schwieriger werden, das gefürchtete Eingreifen des Bundes abzuwenden.
«Es geht nur um Politik»
Wie die Nidwaldner Abstimmung ausgeht, ist offen. Die Ausgangslage ist speziell: Die Kantonsregierung unterstützt die SVP-Volksinitiative. Auf der anderen Seite sind das Parlament, die meisten Parteien und der Lehrerverband gegen das Volksbegehren. Gut drei Wochen vor der Abstimmung kommt niemand am emotional diskutierten Thema vorbei. Die lokalen Zeitungen sind voller Leserbriefe, auf den Strassen stehen Plakate beider Seiten. Den Gegnern der Fremdspracheninitiative gehe es längst nicht mehr um pädagogische Argumente, sagt der prominenteste Befürworter, Regierungspräsident und Bildungsdirektor Res Schmid (SVP). «Da geht es nur um Politik.» Nidwalden gehöre zu den er­fahrensten Kantonen in Sachen Sprachunterricht, sagt er. Schon seit sieben ­Jahren würden die Primarschüler in Englisch und Französisch unterrichtet; in mehreren Schulen bereits seit neun Jahren. «Doch der Lernerfolg bleibt ­leider aus», sagt er. Gleichzeitig hätten viele Kinder Mühe mit Deutsch und Mathematik. Diese beiden Fächer müssten wieder erste Priorität geniessen. Darum werde bei der Stundentafel die Anzahl Lektionen für Deutsch und Mathematik markant angehoben. Schmid und seine Regierungskollegen haben auch schon Vorschläge zur Umsetzung der Initiative gemacht: Damit das Französisch nicht geschwächt werde, brauche es mehr ­Unterrichtsstunden auf der Sekundarstufe und einen verpflichtenden Sprach­austausch.
Lehrer gegen «Insellösung»
Aus Sicht der Lehrerinnen und Lehrer lässt sich das Verschieben des Französischunterrichts hingegen nicht so leicht lösen. Sie wehren sich gegen eine «Insellösung» beim Fremdsprachenunterricht, die den Kanton von den Nachbarn isoliere. Ein «Vorpreschen» Nidwaldens zum jetzigen Zeitpunkt sei zudem riskant, sagt Lea Lowth, Präsidentin des Nidwaldner Lehrerverbands: Falls sich die Kantone darauf einigten, nur noch eine Fremdsprache in der Primarschule zu unterrichten, werde dies wohl eine Landessprache sein. Dies zeigten die Diskussionen der vergangenen Monate. «Im schlimmsten Fall muss Nidwalden den Fremdsprachenunterricht innert kürzester Zeit zweimal umstellen», sagt sie. Das sei auch mit grossen Kosten für Lehrmittel, Lehrpläne oder die Lehrerausbildung verbunden. Der von der Regierung propagierte Sprachaustausch sei zudem nicht so einfach umzusetzen. Die Erfahrung zeige, dass es sehr schwierig sei, für eine ganze Klasse Austauschplätze in der Romandie zu finden, sagt Lowth. Auch seien viele Eltern nicht ­bereit, fremde Kinder bei sich aufzunehmen. Und es sei nicht geklärt, wer die aufwendige Organisation übernehme.
Was die Eltern, ein wichtiger Teil der Stimmbürger, denken, wird sich am 8. März zeigen. Einen Hinweis liefert eine nicht repräsentative Umfrage unter über 600 Erziehungsberechtigten, die die Regierung vergangenes Jahr durchführen liess. Gut die Hälfte der Befragten findet Französisch in der Primarschule nicht wichtig. Die Kinder seien motivierter für den Englischunterricht.


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