Ältere Schüler beherrschen eine neue Sprache rascher als jüngere, Bild: Keystone
Spätstarter lernen Fremdsprachen schneller, Tages Anzeiger, 23.9. von Anja Burri
Die
Forscher des «Wissenschaftlichen Kompetenzzentrums für Mehrsprachigkeit» (KFM)
in Freiburg hätten sich keinen heikleren Zeitpunkt für ihren Bericht aussuchen
können: Mitten im hochpolitischen Streit um den Fremdsprachenunterricht in der
Primarschule haben sie gestern die bisher umfassendste Analyse zum Thema
veröffentlicht.
Die Studie «Alter und
schulisches Fremdsprachenlernen» schafft einen Überblick über die verfügbaren
Studien aus Europa und Übersee. Der Befund lautet: Im Fremdsprachenunterricht
haben ältere Schüler einen entscheidenden Vorteil gegenüber jüngeren. Sie
lernen schneller. Ob die Frühstarter ein paar Jahre später aufholen oder sogar
ein höheres Niveau erreichen – etwa dank eines besseren Sprachgefühls oder
einer höheren Motivation –, ist nicht klar.
Damit verliert ein
wichtiges und viel zitiertes Argument der Befürworter von zwei Fremdsprachen in
der Primarschule weiter an Schlagkraft. Auch die Konferenz der kantonalen
Erziehungsdirektoren (EDK) schreibt in ihrer Broschüre zum
Fremdsprachenunterricht von 2013: «Kinder im Primarschulalter durchlaufen noch
Entwicklungs- und Lernphasen, die für das Sprachenlernen wichtig sind. Sie
können damit von Lernprozessen profitieren, die später nicht mehr in der
gleichen Art möglich sind. So sind sie beispielsweise offener für den Aufbau
und den Erwerb von Lernstrategien.»
Sprachbad
als Lösung
Noch vor wenigen Jahren
war diese Sicht im Zusammenhang mit dem Sprachunterricht verbreitet. Sie stützt
sich vor allem auf Studien über das Erlernen von Fremdsprachen im Alltag – etwa
bei Migrantenkindern. «Man dachte lange, es sei das Gleiche, ob ein Kind in
seinem natürlichen Umfeld eine neue Sprache lernt oder in der Schule», sagt
Amelia Lambelet, Mitautorin des Berichts. Das sei ein Irrtum. In der Schule
werde ein Kind nur zwei, drei Stunden pro Woche mit der Fremdsprache
konfrontiert. Ein Migrantenkind hingegen höre die neue Sprache jeden Tag und
sei darauf angewiesen, diese zu verstehen. Das «Sprachbad» sei immer die
optimale Art, eine Fremdsprache zu lernen, sagt Lambelet. Übertragen auf den
schulischen Alltag kann dies so interpretiert werden: Die zurzeit zur Debatte
stehenden Schüler- und Lehreraustauschprojekte sind ein sinnvolles Mittel. Auch
Hausaufgaben, die die Schüler zum Lesen, Musik hören oder Filme schauen in der
Fremdsprache animieren, bringen etwas. Das gilt übrigens für jede Altersgruppe.
Angst
vor Instrumentalisierung
Lambelet und ihre
Forscherkollegen möchten allerdings keinerlei praktische Empfehlungen aus ihrem
Bericht ableiten. Dafür gebe es schlicht zu wenige wissenschaftliche Befunde.
Es liege ihr fern, den Erziehungsdirektoren Handlungsanweisungen zu geben, sagt
sie. Die EDK habe den Bericht zugeschickt erhalten. Ob und welche Konsequenzen
daraus in politischer Hinsicht gezogen werden, entziehe sich ihrer Kontrolle.
Die Autoren des Berichts sind bemüht zu verhindern, instrumentalisiert zu
werden.
Gründe
für frühen Unterricht
In einem
Begleitschreiben versuchen sie, ihrem wissenschaftlichen Befund die politische
Brisanz zu nehmen: «Es gibt unterschiedlichste Gründe und Faktoren, die für die
frühere Einführung des Fremdsprachenunterrichts sprechen», heisst es dort. Aus
politisch-symbolischer Sicht könne der frühere Beginn des Unterrichts einer
zweiten Landessprache angezeigt sein. Und es könne bildungspolitisch erwünscht
sein, die Kinder möglichst früh für sprachliche Diversität zu sensibilisieren.
Die Lage der Forscher
ist delikat: Der Bericht ist im Rahmen eines vom Bund unterstützten
Forschungsprogrammes entstanden. Über dieses Mandat wacht eine
Steuerungsgruppe, der neben Vertretern des Bundes und von Forschungsinstituten
auch solche der EDK angehören. Die Veröffentlichung zu verschieben, sei
trotzdem nicht infrage gekommen, sagt Lambelet. «Das Projekt ist Teil der
Vereinbarung des Kompetenzzentrums mit den Auftraggebern, diese Information ist
öffentlich. Wenn man jetzt nicht kommuniziere, so könnte auch dies wiederum
vonseiten der Politik interpretiert und instrumentalisiert werden.» Es gebe
wohl keinen guten Zeitpunkt für so einen Bericht.
EDK
will selber analysieren
Der Bericht des KFM
zeige vor allem auf, «dass es heute viele Forschungslücken gibt», schreibt die
EDK in einer Stellungnahme. Studien aus dem Ausland könne man nicht einfach auf
die Verhältnisse in der Schweiz übertragen. Und es gebe viele Unbekannten –
etwa die Art und Qualität des Unterrichts. Wichtig sei für die Schweiz nun, in
den kommenden Jahren die vorgenommenen Veränderungen beim Sprachenunterricht
gut zu evaluieren. Daraus müssten dann Erkenntnisse für die
Unterrichtsgestaltung gezogen werden.
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