Alexander Repenning hat die schweizweit erste Professur für Informatische Bildung inne. Diese wird von der Hasler-Stiftung finanziert. Bild: FHNW
Er will, dass alle Schweizer Primarschüler programmieren lernen, Aargauer Zeitung, 12.7. von Raffael Schuppisser
Kinder und Jugendliche verbringen sehr viel Zeit
mit Computer und Smartphone. Sollen sie sich wirklich auch noch in der Schule
damit
beschäftigen?
beschäftigen?
Alexander Repenning: Ja, unbedingt. Kinder
sollen lernen, wie man den Computer sinnvoll nutzen kann. Sie sollen damit
nicht einfach Zeit verbringen und Medien konsumieren, sondern selber Programme
kreieren.
Der Lehrplan 21 wird derzeit überarbeitet. Sind Sie
zuversichtlich, dass der Informatikunterricht im neuen Lehrplan eine genug
grosse Bedeutung erhalten wird?
Vor der Überarbeitung kamen die Begriffe
«Informatik» oder «programmieren» kaum vor. Jetzt ist man auf gute Art und
Weise in einem Zugzwang. Ich bin zuversichtlich, dass zukünftig
Informatikunterricht ab der dritten Klasse mit einer Wochenstunde im Lehrplan
verankert sein wird. Es muss aber noch genauer definiert werden, wie der
Informatikunterricht in der Schweiz aussehen soll. Sollen nur
Anwenderkenntnisse von Applikationen vermittelt werden? Oder soll es darum
gehen, dass die Kinder programmieren lernen?
Was ist Ihre Meinung?
Natürlich sollen Kinder lernen, einen Brief auf
einem Computer zu schreiben. Das geht aber beispielsweise auch im
Deutschunterricht, wenn man einen Aufsatz schreibt. Im Informatikunterricht
sollte man weiter gehen und programmieren lehren. Die Kinder sollen hier nicht
nur lernen, wie man ein Programm anwendet, sondern wie man eines entwickelt.
Können denn Drittklässler überhaupt bereits
programmieren lernen?
Seit über 20 Jahren entwickeln wir in den USA
Konzepte für einen Informatikunterricht mit Kindern. Mittlerweile haben wir
genug Erfahrung und wissen, dass Kinder das sehr gut können. Eine grosse Rolle
spielt die Motivation. Wenn diese stimmt, können Kinder sehr viel erreichen.
Und Kinder sind oft sehr motiviert, wenn das Programmieren in einem spannenden
Kontext passiert, wie beispielsweise beim Kreieren von Computerspielen.
Wollen Sie aus allen Kindern Informatiker machen?
Nein, auf keinen Fall. Aber sie sollen alle
Programmierkenntnisse haben. Diese sind in fast allen Bereichen gefragt. Im
Englischen gibt es den Ausdruck «computational thinking», was etwa so viel
heisst, wie computerbasiertes Denken. Um eine bestimmte Aufgabe zu lösen, muss
man diese zuerst so strukturieren, dass sie von einem Computer angegangen
werden kann – man muss computerbasiert denken. Dabei reichen reine
Anwenderkenntnisse nicht aus. Ein gutes Beispiel dafür ist die Biologie. Aber
auch in anderen Naturwissenschaften oder in Sprachwissenschaften braucht es
computerbasiertes Denken. In fast jedem Berufsbild der Zukunft ist ein Anteil
von «computational thinking» dabei. Computerbasiertes Denken hilft den Kindern
also in ziemlich allen Bildungsbereichen.
Können Sie ein Beispiel machen?
Wenn eine Schülerin etwa die Aufgabe bekommt, zu
erklären, wie sich eine Schlammlawine bilden kann, so würde sie heute vermutlich
einfach mal bei Wikipedia nachschauen. Doch damit versteht sie noch nicht
wirklich, wie genau eine Schlammlawine entsteht und sich entwickelt. Hätte sie
Programmierfähigkeiten, so könnte sie eine Simulation kreieren, welche die
Dynamik der Schlammlawine darstellt, und würde so noch einmal eine ganz andere
Tiefe des Verständnisses erreichen. Das ist «computational thinking».
Ist das nicht sehr komplex?
Nein, das ist einfacher, als viele meinen. Man kann
so etwas mit relativ geringem Aufwand programmieren, wenn man bereit ist,
Zusammenhänge systematisch zu untersuchen. Und so wie die Schlammlawine, lassen
sich viele Phänomene in den Naturwissenschaften nur dank Simulationen wirklich
verstehen.
Kommt in der Primarschule dann aber nicht anderes
wie Schreiben oder Rechnen zu kurz?
Nein, im Gegenteil. Unsere Erfahrung zeigt, dass
das Programmieren sogar hilft, andere Fähigkeiten zu fördern. Soll ein Schüler
etwa ein einfaches Computerspiel entwickeln – und das geht in diesem Alter –,
dann fördert das auch sein mathematisches Denken und er muss dafür
Textbausteine schreiben, wobei er wiederum diese Fähigkeit schult. Einige
Kinder werden beim Programmieren förmlich aktiviert.
Reicht es denn nicht, wenn ich einen Computer
bedienen kann? Ich kann ja auch Auto fahren, verstehe aber kaum, wie ein
Verbrennungsmotor funktioniert.
Diese Analogie greift zu kurz. Klar, mit den ersten
Autos konnten nur Ingenieure fahren. So war es anfangs auch mit dem Computer:
Um ihn zu bedienen, musste man programmieren können. Heute ist beides nicht
mehr nötig. Jeder kann Auto fahren und jeder kann einen Computer benutzen.
Soweit stimmt die Analogie. Doch der Computer ist – anders als das Auto – ein
Kreativmedium, das man zu viel mehr verwenden kann als das Auto. Um den
Computer aber für seine eigenen, spezifischen Zwecke zu nutzen, muss man programmieren
können. Aus dieser Perspektive ist ein Computer eher vergleichbar mit einem
Mikroskop. Durch Programmieren wird der Computer zu einem mächtigen Instrument
– ein Denkinstrument – das uns erlaubt, komplexe Zusammenhänge überhaupt
sichtbar zu machen und sie dadurch zu verstehen.
ETH-Professoren warnen vor einer
Bildungskatastrophe, sollte der Informatikunterricht im Primarschulalter in der
Schweiz nicht zustande kommen. Sehen Sie das auch so pessimistisch?
Ja. Wenn wir den Kindern keine informatische Bildung
geben können, verpasst die Schweiz den Anschluss. Es geht heute nicht mehr
darum, nur Fakten auswendig zu lernen. Schüler sollen keine Memory Sticks sein.
Stattdessen sollen sie lernen, Fakten kreativ anzuwenden und so neue
Zusammenhänge herstellen. Dabei hilft das computerbasierte Denken.
Haben wir gut genug ausgebildete Lehrkräfte, damit
unsere Schüler in den Genuss eines bereichernden
Informatikunterrichts kommen?
Informatikunterrichts kommen?
Nein, aber man kann sie ausbilden. Unsere
Bildungsprojekte in den USA haben gezeigt: Wenn jemand pädagogische Erfahrung
hat, können wir diese Person mit relativ geringem Aufwand so ausbilden, dass
sie im Klassenzimmer Programmierunterricht geben kann. Programmiertechnische
Vorkenntnisse sind dafür nicht nötig. Es wird aber sicher ein langer Prozess
sein, bis wir genug ausgebildete Lehrkräfte haben. Dafür braucht es auch
weitere Hochschulen, die Informatiklehrer ausbilden.
Derzeit wird auch viel über Medienkompetenz
diskutiert. Müssen wir Kinder besser über die Gefahren der neuen Medien aufklären?
Ja, das ist auch sehr wichtig. Wir müssen aber
aufpassen, dass wir nicht alle Energie dafür investieren, vor Negativem zu
warnen. Wir sollten den Kindern auch die positiven Aspekte der Informatik
vermitteln und sie lehren, wie sie diese sinnvoll nutzen können.
Was hat den Ausschlag gegeben, dass Sie nach über
20 Jahren in den USA zurück in die Schweiz gekehrt sind, um eine Professur für
Informatische Bildung an der Fachhochschule Nordwestschweiz anzunehmen?
Ich habe gespürt, dass hier in der Schweiz grosse
Bereitschaft besteht, informatische Bildung umzusetzen. Bis vor kurzem war dies
nicht der Fall.
Was ziehen Sie für eine Bilanz nach dem ersten
Semester?
Eine sehr positive. Das Interesse vonseiten der
Lehrkräfte ist sehr gross. Einige sind zwar anfangs etwas skeptisch, doch
verfliegt das Unbehagen meist rasch. Das ist halt die Schweizer Mentalität.
(Lacht.)
Wie meinen Sie das?
Ich glaube, wir Schweizer sind anfangs oft etwas
skeptisch. Wir lassen uns nicht sofort auf alles ein. So haben wir beispielsweise
Lehrer gefragt, ob sie dabei wären, wenn Google ein Programmier-Event für
Schulklassen organisieren würde. Kaum jemand wollte das. Wir änderten unser
Konzept und fragten sie, ob sie dabei wären, wenn wir von der Pädagogischen
Hochschule FHNW mit Google zusammen ein solches Event organisieren würden, und
plötzlich waren ganz viele dabei. Wir waren völlig ausgebucht. Viele Lehrer
wollten danach wissen, wie sie mehr Programmierfähigkeiten erlangen können. Und
die Kinder fragten, wann es mit dem Unterricht weitergehe.
Sie lehrten und forschten über 20 Jahre an der
Universität von Colorado. Hat im amerikanischen Bildungssystem die Informatik
einen höheren Stellenwert?
Ja, aber wir sind auch in den USA noch nicht so
weit, wie wir sein möchten. Das Schulsystem in den USA lässt sich sehr gut mit
dem in der Schweiz vergleichen. Beide sind sehr föderalistisch. Wie hier die
Kantone, können in Amerika die Staaten über viele Aspekte des Schulunterrichts
selber bestimmen. Deshalb haben auch dort nicht alle amerikanischen Kinder
Informatikunterricht, das kommt immer auf die Schule und den Schulleiter an.
Gibt es auch Unterschiede zwischen den USA und der
Schweiz?
In den USA steht die Motivierung der Schüler viel
stärker im Vordergrund. In der Schweiz hat man noch viel zu oft das Gefühl,
dass Bildung eine bittere Medizin sein müsse. Dabei sind Schüler zu sehr viel
mehr fähig, wenn man sie zuerst für eine Tätigkeit motiviert und ihnen erst
dann die Fähigkeiten lehrt. Dann lernen sie mit Freude, weil sie genau wissen,
wozu sie das Vermittelte nutzen können.
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