Alles wurde in die Wege geleitet, um die Schule für die Veränderungen in der Gesellschaft fit zu machen: neuer Lehrplan, neue Stundentafel, neue Lernkonzepte wie Lernlandschaft und die Harmonisierung der Übertritte – der Wechsel nach dem sechsten Primarschuljahr in die dreijährige Sekundarschule (früher im Baselbiet 5/4, in Basel-Stadt 4/5). Der Schuss scheint deutlich nach hinten losgegangen zu sein.
Bildungsreformen liessen Schule abstürzen, Basler Zeitung, 17.12. von Daniel Wahl
Auf eine Umfrage der Starken Schule beider Basel haben 506 Lehrerinnen und Lehrer der Volksschulen und weiterführenden Schulen geantwortet. Sie mussten den Zustand vor und nach Einführung der Schulreformen kennen – also über mindestens fünf Jahre Unterrichtserfahrung verfügen –, um an der Umfrage teilnehmen zu können.
Baselbiet ist kritischer
Das Ergebnis gibt einem zu denken: Das Leistungsniveau der Schülerwird von den Lehrern im Vergleich zu vor fünf Jahren oder früher mit 63,6 Prozent als «schlechter» oder «deutlich schlechter» eingestuft. Lediglich 7,9 Prozent beurteilen die Leistung als «besser» oder «deutlich besser». Rund ein Drittel der Lehrkräfte sehen nach den vielen Reformen keinen relevanten Leistungsunterschied.
Die Baselbieter Lehrer sind kritischer als ihre Kollegen in Basel-Stadt. 70,8 Prozent beklagen den Leistungsabsturz des Schulsystems. Der Stadtkanton macht dieselbe Aussage mit 55,8 Prozent. Die Starke Schule beider Basel als lnitiantin der Umfrage erklärt sich den signifikanten Unterschied damit, dass man in Basel froh sei, mit der Orientierungs- und Weiterbildungsschule von einem exotischen Schulmodell Abschied genommen zu haben. Am härtesten ins Gericht mit den Bildungsreformen gehen die Sekundarlehrer. 85,6 Prozent finden, das Bildungsniveau sei «schlechter» oder «deutlich schlechter» geworden.
Grundsätzlich überraschen die Umfragewerte nicht, lehnen sie sich doch an die Resultate der nationalen Überprüfung der Grundkompetenzen an den Volksschulen an, bei der beide Basel schlecht abgeschnitten haben. Das Baselbiet hat darum ein Massnahmepaket von rund 62 Millionen Franken geschnürt. Weshalb dann eine Umfrage?
«Mit der neuen Umfrage haben wir nicht nur einen Istzustand aufgenommen, sondern es ist ein Vergleich zwischen früher und heute möglich, um den Effekt der Bildungsreformen abbilden zu können», sagt Jürg Wiedemann von der Starken Schule. So konnten die Lehrerinnen und Lehrer denn auch frei formulieren,wo sie die Ursache der Schulmisere sehen – etwas,was die Bildungsdirektion bei der Präsentation ihres Massnahmenpakets Anfang Dezember vermieden hatte. Eine beachtliche Anzahl (307) Lehrpersonen haben sich nun diese Mühe gemacht und differenziert Stellung genommen.
Sechs Hauptgründe
1. Der Wechsel von fünf auf sechs Primarschuljahre. Das habe dazu geführt, dass die stärkeren und die schwächeren Schüler weniger individuell gefördert werden könnten.
2. Die laut Lehrpersonen schlechten kompetenzorientierten Lehrmittel wie «Mille feuilles» und «Clin d’œil», wegen fehlender Grammatik und wenig strukturierten Aufbaus.
3. Die Verringerung der effektiven Unterrichtszeit, weil diese von Projektwochen, Lagern, Sondertagen wegrasiert werde.
4. Der neue Lehrplan und die damit einhergehenden Reformen.
5. Die geringere Belastbarkeit und Konzentrationsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler.
6. Die geringere Unterstützung der Eltern, was zu Kompensationsmassnahmen der Schule zulasten der Unterrichtszeit führe.
Genau das Gegenteil erzielt
«Was uns stutzig macht und nach den individuellen Stellungnahmen der Lehrer ins Auge sticht», kommentiert Jürg Wiedemann, «ist die Kritik an den eingeleiteten Bildungsreformen.» Sie hättenVerbesserung bringen sollen, erzielten aber genau das Gegenteil – weniger Konzentration, weniger Erkennen von Zusammenhängen, nicht zuletzt, weil das Basiswissen fehle. «Das betrachtenwir alsAbstieg der Volksschule.» Zwischen den Zeilen der vielen Stellungnahmen dringe eines durch: «Der Umbruch bei der Unterrichtsphilosophie, die Abkehr von einem geleiteten und geführten Unterricht zu einem entdeckenden, spielerischen Lernen.» Konzentriertes Arbeiten werde von der Primarschule an immer weniger eingeübt.
Beat Lüthy, nun seit drei Jahren Leiter des Amts für Volksschulen im Baselbiet, ist nach den für ihn überraschenden Resultaten der nationalen Überprüfung der Grundkompetenzen 2019 wenig erstaunt: «Die Feedbacks der Lehrer, soweit ich das Fazit sehen konnte, decken sich weitgehend mit den Erkenntnissen unserer Analyse, bevor wir das 62-Millionen-Franken-Massnahmenpaket aufgegleist haben.» Über die Resultate der Umfrage müsse man diskutieren und die Lehrer ernst nehmen. Er sagt auch: «Das Letzte, was wir brauchen, sind neue Reformen. Vielmehr bedarf es einer Beruhigung und einer stetigen Verbesserung im derzeitigen System.»
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen