Vor 10
Jahren ersetzte Luzern die «Schnürlischrift» mit der Basisschrift. Mittlerweile
wird sie in der ganzen Deutschschweiz eingesetzt. Die Schöpfer der neuen
Schulschrift wurden vom eigenen Erfolg überrumpelt.
Wie Luzern mit dieser Schrift Schule machte, Zentralschweiz am Sonntag, 27.1. von Ismail Osman
Es ist
eine Luzerner Erfolgsgeschichte: In Sachen Handschrift wurde von hier aus eine
neue Ära eingeläutet. Mittlerweile blickt man gar von Deutschland interessiert
hinüber auf diesen neuen Weg, den Luzerner Lehrerinnen und Lehrer sowie
Forscherinnen und Forscher der hiesigen Pädagogischen Hochschule (PH) vor rund
10 Jahren aufzeigten.
Aber der
Reihe nach: «Ich finde immer noch, dass es eine sehr schöne Schrift ist», sagt
Josy Jurt Betschart. Die PH-Dozentin spricht dabei von der Schweizer Schulschrift.
1946 eingeführt, wurde sie schon bald umgangssprachlich «Schnürlischrift»
genannt.
Ironischerweise ist Jurt direkt mitverantwortlich, dass die
Schnürlischrift aus den Deutschschweizer Klassenzimmern verbannt wurde. Josy
Jurt erklärt: «Die Schnürlischrift ist schön, aber das alte System war
eigentlich eine Überforderung. Kaum hatten die Kinder nach der ersten Klasse
die Steinschrift beziehungsweise Blockschrift halbwegs im Griff, mussten sie
nochmals eine ganz neue Schrift erlernen.» Dieser Umstand wurde in Lehrer- und
Hochschulkreisen schon seit Jahrzehnten diskutiert. In Luzern begann man nach
Alternativen zu suchen. «Ein Lehrer, der erstberuflich im grafischen Gewerbe
arbeitete, rief mich eines Tages an und sagte: ‹Du, ich glaube, ich hätte da eine
Schrift›», erinnert sich Jurt. Konkret war der Berufskollege auf die
«Basisschrift» des renommierten Zürcher Typografen Hans Eduard Meier
(1922–2014) gestossen.
«Alternative»
findet gewaltigen Anklang
«Das
Potenzial der Schrift erkannten wir sofort: Mit ein paar Anpassungen hätte man
hier eine Schrift, die man zunächst als einzelne Buchstaben erlernen und
später, fast nach Belieben, verbinden kann, ohne die Buchstaben verändern zu
müssen.» So entstand, auf dem Fundament von Meiers Design, die «Luzerner Basisschrift».
2006 wird sie in den Luzerner Lehrplan aufgenommen – als Alternative zur
Schweizer Schulschrift. «Die Resonanz war gewaltig», staunt Josy Jurt noch
heute. Jurt ist, neben ihrer Anstellung bei der PH, Bereichsleiterin Unterricht
bei der Dienststelle Volksschulbildung des Kantons, wo sie für die Primarstufe
zuständig ist. «2009 lernte bereits mehr als die Hälfte aller Kinder in der 1.
Klasse die Basisschrift.» Dass die neue Schrift gleich in diesem Ausmass
Anklang finden würde, überraschte: «Es bestand zu Beginn ja noch gar kein
Lehrmittel, an dem sich die Lehrpersonen orientieren könnten», sagt Jurt mit
einem Schmunzeln. «Zudem haben wir am Anfang dem Verbinden zwischen den
Buchstaben zu wenig Beachtung geschenkt.» Orientierung suchten die Lehrerinnen
und Lehrer aber nicht zuletzt auch wegen dieser Eigenheit der Basisschrift:
Tatsache ist, dass die Zeichen getrennt geschrieben werden und die Verbindungen
zwischen den Buchstaben dort gemacht werden können, wo sie sich aus dem Schwung
heraus ergeben. Zum einen bedeutet dies, dass jedes Schulkind daraus seine ganz
persönliche Handschrift entwickeln kann. Zum anderen gibt es in Bezug auf die
Schreibweise kein klassisches «richtig» oder «falsch» mehr.
Die
Forschungsgruppe «Sprachen und Schrift» der PH Luzern konnte durch die
Forschung von Sibylle Hurschler, PH-Dozentin für Psychomotorik und
Grafomotorik, die Vorteile der Basisschrift nachweisen, so Jurt. Sie und
Hurschler wurden anschliessend damit beauftragt, ein Lehrmittel auszuarbeiten,
das 2011 erstmals erschien. Seit 2012 ist die Basisschrift in Luzern nicht mehr
eine Alternative, sondern verbindlich.
Die
Vorgänge in Luzern sprachen sich schnell herum. 2014 empfahlen die
Deutschschweizer Erziehungsdirektoren, das Luzerner Modell für die gesamte Sprachregion
zu übernehmen. Seither heisst sie «Deutschschweizer Basisschrift».
Entlastung
für das Arbeitsgedächtnis
Was genau
ist aber das Geheimnis der Basisschrift? «Sie hat einfache Bewegungsabläufe und
klare Formen, die persönliche Nuancen zulassen. So können die Kinder leserlich
und bald geläufig schreiben, was das Automatisieren unterstützt.» Dies wiederum
entlaste das Arbeitsgedächtnis. «Es ist wie beim Velofahren. Je automatisierter
Balance und Tretbewegungen sind, umso mehr kann ich mich auf den Verkehr
konzentrieren. Mit dem Schreiben ist es dasselbe: Je weniger ein Kind überlegen
muss, wie ein Buchstabe aussieht, desto mehr kann es sich auf den Inhalt des
Geschriebenen konzentrieren.»
Die
Debatte um die Schulschrift wird auch in Deutschland geführt. So referierte
gestern Eva Odersky von der Ludwig-Maximilians-Universität München an der PH
Luzern zur Frage «Kommt es wirklich auf das Verbinden an?». Bei den
Diskussionen im Nachbarland fällt deren Blick unweigerlich auf das, was die
Schweizer – genauer gesagt die Luzerner – da erfunden haben.
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