Thomas Merz glaubt, dass die
Schweizer Schulen im Umgang mit der Digitalisierung mittlerweile auf dem
richtigen Weg sind. Der Medienpädagoge sagt aber auch, dass sie auf diesem Weg
noch ganz am Anfang stehen.
Digitalisierung an Schweizer Schulen schreitet voran, Luzerner Zeitung, 16.2. von Dominic Wirth
Thomas Merz, Sie kämpfen schon seit langem dafür,
dass die Schweizer Volksschule dem Megatrend Digitalisierung mehr Gewicht gibt.
Wo stehen wir heute?
In den vergangenen Jahren ist einiges passiert, ein
entscheidender Schritt wurde gemacht. Wir mussten uns lange dafür einsetzen,
dass Medien und Informatik im Lehrplan stärker verankert wird. Jetzt gibt es im
Lehrplan 21 dieses Gefäss endlich. Und das hat eine ausgeprägte Dynamik
ausgelöst.
Inwiefern?
Die Themen sind heute in der Lehrerausbildung
stärker verankert, es gibt bessere Lehrmittel und breite Weiterbildungsprogramme.
Und doch: Im Lehrplan 21 hat Medien und Informatik
nur den Status eines Moduls. Das gibt den Kantonen einigen Spielraum bei der
Umsetzung – mehr als etwa bei Grundlagenfächern. Machen wir wirklich genug?
Es gibt tatsächlich noch Spielraum, und es gibt
auch Kantone, die auf Primarstufe kein eigenes Unterrichtsgefäss deklariert
haben, etwa Schwyz. Das ist bedauerlich. Eines steht sowieso fest: Wir müssen
in zwei, drei Jahren genau untersuchen, was in Sachen Medien und Informatik an
unseren Schulen tatsächlich passiert ist dank des neuen Lehrplans. Der Trend
stimmt aber, da bin ich sicher.
Die Schweizer Volksschule hat sich in die richtige
Richtung bewegt. Ist sie vom Schlendrian zum Musterschüler geworden?
So würde ich das nicht sagen. Wir haben uns zwar
nun eine gute Anfangsposition geschaffen. Aber es muss in den nächsten Jahren
noch sehr viel geschehen.
Was stellen Sie sich vor?
Wir müssen Medien und Informatik in Zukunft sicher
noch mehr Platz einräumen, auf Dauer braucht es einen noch stärkeren Fokus. Wir
haben jetzt mit der Modullösung, was derzeit realistisch und möglich ist. In
den nächsten Jahren wird unserer Gesellschaft noch mehr bewusst werden, wie
sehr sich unser Leben aufgrund der Digitalisierung ändert. Und dann wird auch
an den Schulen noch mehr passieren. Ein Ausbau ist nach meiner Einschätzung nur
eine Frage der Zeit.
Sind Sie da sicher? Die Mühlen mahlen langsam im
Schweizer Bildungsföderalismus, viele Interessen prallen aufeinander. Sie mussten
ja jahrelang um eine stärkere Verankerung von Medien und Informatik im neuen
Lehrplan ringen.
Das stimmt. Aber wenn ich sehe, was sich zuletzt
alles bewegt hat, dann glaube ich, dass es auch so weitergeht. Die
Digitalisierung ist in den Köpfen der Menschen zu einem riesigen Thema
geworden. Das Bewusstsein, sich dafür rüsten zu müssen, ist klar stärker
geworden.
Wo müssen wir denn hinkommen, welches Gewicht
sollen Medien und Informatik in unserer Volksschule bekommen?
Digitale Technologien werden unseren Alltag künftig
noch stärker durchdringen. Unsere Schüler müssen in der Volksschule darauf
vorbereitet werden. Das heisst: Schule insgesamt – in jedem Fach – muss auf
eine vollkommen neue Lebenssituation vorbereiten.
Lehrpläne und Visionen sind das eine, die
Lehrkräfte, die das vermitteln müssen, das andere. Viele von ihnen wurden lange
vor dem digitalen Zeitalter ausgebildet. Können sie unsere Kinder überhaupt für
die Digitalisierung rüsten?
Es gibt auch unter den älteren Lehrpersonen
Technikpioniere und solche, die sich dafür weniger begeistern können – so, wie
das auch bei den Jungen ist. Aber trotzdem kommt hier für Lehrpersonen ein
neues Thema in die Schule, da braucht es tatsächlich Begleitmassnahmen.
Zum Beispiel?
Weiterbildung. Und natürlich die passenden
Lehrmittel.
Veränderungen stossen immer auf Widerstand. Wie
enthusiastisch werden diese Weiterbildungen genutzt?
Auch hier habe ich in den letzten Jahren einen
Wandel beobachtet. Es ist klar: Der eine bildet sich lieber weiter, der andere
weniger. Aber die Lehrkräfte sehen ein, dass der digitale Wandel unsere
Gesellschaft dermassen umpflügt, dass auch sie sich anpassen müssen.
Die Digitalisierung wird viele alte Jobs
wegwischen, auch an manchen Schulen führt sie zu Experimenten – etwa mit
stark individualisiertem, technikgestütztem Unterricht. Brauchen wir bald gar
keine Lehrer mehr?
Doch, natürlich. Lernen und Lehren ist ein sozialer
Prozess. Den kann man nicht durch eine Maschine ersetzen. Und man sollte es
auch nicht. Es ist aber sicher so, dass sich der Lehrerberuf stark verändern
wird.
Das gilt auch für den Unterricht. Welche
Möglichkeiten bietet der Trend zum individualisierten Lernen?
Wir sollten die neuen Medien nutzen, um mehr zu
individualisieren. Ich plädiere aber dafür, dies massvoll zu tun. Die Schule
muss gerade in unserer hoch individualisierten Welt auch zeigen, wie wichtig
der soziale Austausch ist.
Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse hat sich
kürzlich an die Volksschule gewandt. Die soll das Interesse an den Mint-Fächern
besser fördern, soll gleichzeitig die Grundlagen wieder besser vermitteln. Und
soll auch noch die Kinder für die Digitalisierung rüsten. Laufen wir nicht
Gefahr, die Volksschule zu überfordern?
Ich glaube, wir müssen darauf achten, dass wir beim
Lernen den Schwerpunkt verschieben. Es sollte nicht einfach um mehr Quantität
gehen in der Schule, sondern um die Qualität und Vertiefung des Gelernten.
Dabei spielt die Lernmotivation eine zentrale Rolle. Wir müssen den
Schülerinnen und Schülern konsequent zeigen, weshalb sie etwas lernen. Dann ist
ihre Motivation viel grösser.
Zur Person
Thomas Merz ist Prorektor für Forschung und Wissensmanagement und Dozent
Medien und Informatik an der Pädagogischen Hochschule Thurgau. Zudem sass er in
der Arbeitsgruppe Medien und Informatik des Lehrplans 21. Diese war bei der
Ausgestaltung des neuen Moduls federführend.
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