Ist die Qualität der Matur so gut, wie die Gymnasien es glauben? Oder
muss die Ausbildung grundlegend überarbeitet werden? Eine Studie von Peter
Bonati liefert eine Reihe von Anregungen.
Zu wenig Harmonie unter den Gymnasien, NZZ, 2.10. von Jörg Krummenacher
«Die Qualität der Schweizer Matur ist erwiesenermassen sehr gut» – so
liess sich vor zwei Jahren der Verein der Schweizer Gymnasiallehrkräfte
vernehmen. Es bestehe kein Handlungsbedarf. Der Bildungswissenschafter Peter
Bonati bringt diese Überzeugung mit seiner neusten Publikation jedoch ins
Wanken. Er hat selbst bei der Erarbeitung zahlreicher Lehrpläne mitgewirkt, war
Kantonsschullehrer in Aarau, während zwanzig Jahren Direktor und Dozent am
Höheren Lehramt der Universität Bern und zwölf Jahre als Schulberater tätig.
Seine Analyse ergänzt er mit praxisbezogenen Vorschlägen zur Strukturierung und
zur Erarbeitung von Lehrplänen.
Nationalen Lehrplan revidieren
In Bezug auf die nationalen Vorgaben fordert Bonati eine tiefgreifende
Überarbeitung des Maturitätsanerkennungsreglements und des Rahmenlehrplans:
Studierfähigkeit und Allgemeinbildung sollen neu umschrieben, die Anforderungen
eindeutiger auf den Zugang zu den Universitäten ausgerichtet, die
Rahmenlehrpläne für die einzelnen Fächer modernisiert werden.
Defizite ortet er bei den Schnittstellen: Das Ziel,
Maturitätsanforderungen homogen zu beschreiben, werde «mehrheitlich verfehlt»,
das mit der Matura zu erreichende Wissen sei nicht klar genug umschrieben. Als
«relativ unverbindlich» bezeichnet er nebenbei auch den Lehrplan 21, was die
Anforderungen an den Übertritt von der Primar- oder Sekundarschule in die
gymnasiale Stufe betrifft.
Bonati benennt mit Blick auf die Lehrpläne auch inhaltliche Schwächen.
So verweist er auf Defizite in der Allgemeinbildung, in der es bei Sprachen und
Kunst an Konkretheit fehle. Die Förderung überfachlicher Kompetenzen sei auf
bescheidenem Stand: Nur gut 40 Prozent der Gymnasien erfüllten hier die
Mindestanforderungen. Das Freifachangebot sei zwar weitgehend überzeugend, die historische
Orientierung habe aber wenig Kontur; besonders die Lehrpläne für Deutsch und
moderne Fremdsprachen seien verstärkt allgemeinbildend auszurichten. Als
schwach bezeichnet er die ethische Bildung: Der Rahmenlehrplan gebe
«Kompetenzen im sozialen, ethischen und politischen Bereich» vor, was nach
seiner Meinung «weitgehend Makulatur» geblieben ist.
Peter Bonati zitiert etwa aus einem neueren Informatiklehrplan, der im
Vorspann vorgibt, «die Verbreitung der Digitaltechnik in unserem Alltag zu
thematisieren» und «die Auswirkungen der Digitaltechnik auf unsere Lebens- und
Verhaltensweise zu reflektieren». Inhaltlich geht der Fachlehrplan dann
allerdings mit keinem Wort darauf ein.
Vergleichbarkeit erhöhen
Bonati dürfte mit seinen Forderungen auf Widerstand stossen. Zumindest
bisher haben sich Lehrkräfte der Gymnasien gegen einheitlichere Vorgaben
ausgesprochen. 2011 reagierte die Schweizer Gymnasialrektorenkonferenz mit
Bedenken auf den Ruf nach einer Harmonisierung und «nach Vergleichbarkeit und
Verlässlichkeit der gymnasialen Maturität». Und der Verein der Schweizer
Gymnasiallehrkräfte hielt etwa frühere Forderungen, die in Richtung einer
einheitlichen Zentralmatur gehen, als «völlig aus der Luft gegriffen».
Peter Bonati hält entgegen, dass koordinativ erarbeitete und besser
vergleichbare Lehrpläne möglich seien, ohne die Eigenständigkeit der Gymnasien
bei Schulstruktur, Unterrichtsorganisation und Schulleben infrage zu stellen.
Er zielt nicht auf eine Vereinheitlichung ab, sondern auf vergleichbare Maturitätsanforderungen
und eine mittlere Regelungsdichte, die den Lehrplänen die notwendige Offenheit
lässt.
Wurde bisher im Zusammenhang mit den Gymnasien vor allem über die
Maturitätsquote gesprochen, dürften künftig Anpassungen in Bezug auf Inhalt und
Qualität der Lehrpläne Thema sein. Falls seine Forderungen umgesetzt würden,
nähme dies, glaubt Peter Bonati, die nächsten zehn Jahre in Anspruch.
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