Christian Stang, 42 Jahre,
begeisterte sich schon als Junge für Wörter, Regeln und Interpunktionen. Im
Alter von 16 Jahren stieß er auf einen Fehler in einem
Rechtschreibnachschlagewerk – und bekam später das Angebot, selbst mal ein Buch
zum Thema Zeichensetzung zu schreiben. Eigentlich ist Stang Postbeamter. Vor
sechs Jahren wurde er an die Universität Regensburg abgeordnet. Dort berät er
in der Orthografie- und
Normberatungsstelle Studenten und Universitätsbedienstete zu
Rechtschreibung, Grammatik und zu Normen.
"Kein Notenabzug für Rechtschreibfehler? Das falsche Signal", Welt, 8.6. von Mareike König
DIE WELT: Welchen Eindruck haben Sie von den
Rechtschreibefähigkeiten junger Menschen?
Christian Stang: Den viel beschworenen Sprachverfall kann ich
nicht bestätigen. Mein Eindruck ist vielmehr, dass es gute und schlechte
Rechtschreiber gibt. Und das war schon immer so. Und nur weil jemand mal in
„Kiezdeutsch“ seinen Freunden „Ich geh Bahnhof“ kommuniziert, bedeutet das noch
lange nicht den Untergang des Abendlandes. Bei vielen legt sich im formellen
Rahmen, zum Beispiel bei Bewerbungsschreiben, der Schalter um, und die
Rechtschreib-Schludrigkeit verschwindet von allein.
DIE WELT: Warum kommen denn die Studenten in die
Beratung?
Stang: Zum Beispiel, wenn sie gerade eine
Seminararbeit schreiben müssen. Dann geht es häufig um komplizierte Fälle bei
der Getrennt- und Zusammensetzung oder Kommasetzung – oder auch um formale
Fragen: „Muss man bei der Abkürzung ,z. B.‘ einen Leerraum nach dem ersten
Punkt setzen?“ – „Schreibt man in Inhaltsverzeichnissen 1.1. oder 1.1?“
DIE WELT: Wird noch Wert auf anständige Rechtschreibung
gelegt?
Stang: In verschiedenen Bundesländern gibt es in den
Schulen zum Beispiel keinen Notenabzug mehr für Rechtschreibfehler in den
Klausuren. Das sendet natürlich falsche Signale. Ich glaube aber, den meisten
jungen Menschen ist klar, dass Rechtschreibung eine Schlüsselkompetenz ist. Wer
googeln will, muss wissen, wie ein Wort geschrieben wird. Und wenn Prominente
bei Facebook Nachrichten verfassen, die von Rechtschreibfehlern strotzen,
beeindruckt das auch niemanden. Im Gegenteil, alle machen sich darüber lustig.
DIE WELT: Welche Fehler korrigieren Sie immer wieder?
Stang: Die Klassiker im Bereich der Interpunktion
sind zum Beispiel Infinitivgruppen mit „zu“, also ein Satz wie: „Es ist
erforderlich, in diesem Satz ein Komma zu setzen.“ Dieses Komma ist hier
tatsächlich verpflichtend, trotzdem machen es sehr, sehr viele falsch. Außerdem
gibt es in den letzten Jahren eine Inflation an Apostrophen, die meistens
völlig falsch verwendet werden. Ich denke an Pluralformen wie „Baby’s“ oder an
Artikelverschmelzungen mit Präposition wie „für’s“ und „in’s“. In diesen Fällen
hat der Apostroph nichts zu suchen. Ein anderer Fehler, der einem ständig
begegnet, ist, dass bei „Herzlich willkommen“ das „willkommen“ großgeschrieben
wird.
DIE WELT: Ich hätte „willkommen“ auch großgeschrieben.
Stang: Ja, es besteht da vielleicht das Bedürfnis,
durch den Großbuchstaben dem Wort mehr Bedeutung zu verleihen. Natürlich
schreibt man es aber klein, es ist schließlich ein Adjektiv. Außer „willkommen“
wird als Nomen verwendet. Zum Beispiel: „Man bereitete ihr ein herzliches
Willkommen.“
DIE WELT: Sie beraten ja nicht nur Studenten, sondern
auch Behörden und Redaktionen. Welche Beratung ist Ihnen da besonders im
Gedächtnis geblieben?
Stang: Hier in Regensburg ist das Institut Papst
Benedikt XVI. ansässig, das die gesammelten Schriften von Papst Benedikt
herausgibt. Da galt es zum Beispiel, die Frage zu klären, ob man „gesammelte“
groß- oder kleinschreibt. Dieser Fall wurde damals im Duden noch nicht
behandelt.
DIE WELT: Und dann?
Stang: Ich habe dies der Dudenredaktion mitgeteilt.
In der nachfolgenden Auflage wurde der Fall dann aufgenommen. Dort steht nun
offiziell, dass man sie mit kleinem oder großem „g“ schreiben kann.
Stang: Die Zahl der Schreibvarianten hat zwar durch die Einführung der
neuen Orthografie zugenommen, aber von Beliebigkeit kann natürlich keine Rede
sein. Prinzipiell gilt nämlich der Grundsatz „Ein Wort – eine Schreibung“!
DIE WELT: Sehen Sie eigentlich überall Rechtschreibfehler?
Stang: Das ist tatsächlich schwierig. Es rattert immer irgendwie im
Hinterkopf. Das stört mich aber nicht. Ich glaube, wenn man an etwas wirklich
richtig Spaß hat, dann lässt einen das nie wirklich los. Ich bin aber nicht der
Typ Oberlehrer, der mit dem Rotstift durch die Welt geht und jeden
Rechtschreibfehler korrigiert, den er sieht. Rechtschreibung ist am Ende vor
allem ein Hilfsmittel, das die Kommunikation erleichtert.
DIE WELT: Welche Regeln und Wörter muss ein
Orthografieberater eigentlich selbst mal nachschlagen?
Stang: Ich habe in meinem Duden Seiten mit Post-its markiert, die ich
immer wieder brauche. Mein persönlicher Klassiker ist „zurechtkommen“, zusammen
oder getrennt?
DIE WELT: Ich würde sagen zusammen.
Stang: Richtig. Denn Verben mit „zurecht“ werden stets
zusammengeschrieben. Die Regel will mir aber nicht so richtig in den Kopf.
DIE WELT: Haben Sie Sorge, dass Programme zur
Rechtschreibprüfung Sie den Arbeitsplatz kosten könnten?
Stang: Wenn man sich diese Programme heute so anschaut, stecken da ja
noch sehr viele Fehler drin. Jeder kennt diese Frustration, wenn bei Word
wieder ein korrektes Wort rot unterkringelt ist. Für Tippfehler sind solche
Korrekturprogramme praktisch, ich benutze die selbst auch. Und selbst wenn es
eine perfekte Rechtschreib-App gäbe, würde ich sie zwar nutzen, aber
letztendlich immer noch selbst kontrollieren, ob auch nichts übersehen wurde.
Aber so eine App muss es ja erst einmal geben. Ich habe nicht das Gefühl, dass
mir in den nächsten Jahren die Arbeit ausgehen wird.
DIE WELT: Welche Neuigkeiten gibt es denn gerade momentan
noch so aus der Orthografie-Community?
Stang: Da die Rechtschreibreform 1996 in der Schreibgemeinschaft zum Teil
heftige Reaktionen hervorgerufen hat, ist man inzwischen viel zurückhaltender
geworden. Vor ein paar Tagen wurden ein paar kleinere Änderungen von der
Kultusministerkonferenz verabschiedet: Ab sofort ist nun auch das große scharfe
„ß“ Bestandteil des amtlichen Regelwerks. Und bei manchen Fremdwörtern hat man
die eingedeutschte Variante wieder gestrichen, die sich nicht durchgesetzt hat.
Zum Beispiel „Vandalismus“ mit „W“, „Roulette“ ohne „e“ am Ende, „Ketchup“ mit
„sch“. So schreibt einfach niemand.
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