Ohne
Smartphone in der Oberstufe? Keine Chance. Lehrer kommunizieren mit den
Schülern via Chat. Ohne WhatsApp wird man zum Aussenseiter. Dabei wäre die App
erst ab 16 Jahren erlaubt.
Gruppenzwang Klassen-Chat, Ostschweiz am Sonntag, 3.7. von Julia Nehmiz
Die
Sechstklässler einer St. Galler Primarschule sind ratlos. Zwar haben die
meisten schon ein Smartphone, aber eben nicht alle. Müssen die sich nun eines
kaufen? «Wir hatten gestern Besuchstag in der Oberstufe. Unsere neue Lehrerin
hat gesagt, wir brauchen alle ein Smartphone, damit wir einen Klassen-Chat auf
WhatsApp einrichten können», erzählt ein 13-Jähriger.
Was der
Oberstufenlehrerin wohl entgangen ist: In den Nutzungsbedingungen von WhatsApp
heisst es, dass man mindestens 16 Jahre alt sein muss, um die Anwendung zu
nutzen. Beim Installieren der App wird das Mindestalter jedoch nicht
kontrolliert. Ein anderer Sechstklässler fragt: «Wenn die Lehrerin nun sagt,
ich soll WhatsApp installieren, was soll ich dann machen?»
Kinder sind
immer erreichbar
Die
Primarlehrer ärgert das masslos. Es gebe andere Wege der Kommunikation, um die
Schüler zu erreichen. Hausaufgaben könne man auch in der Schule besprechen. Und
wenn der Lehrperson erst am Sonntagabend einfällt, dass die Schüler Pappkarton
zum Basteln mitbringen müssen – dann sei es halt zu spät. «Bei grossen
Konzernen werden die Mailprogramme am Wochenende abgestellt, damit die
Mitarbeiter abschalten können. Aber bei Kindern fängt man an, permanente
Erreichbarkeit zu verlangen. Das ist doch absurd», sagt die Primarlehrerin.
«Das kann
ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass meine Lehrer zu den Schülern
sagen, sie müssten ein Smartphone haben», sagt der Leiter der betreffenden
Sekundarschule. Es sei klar: Die Schule gebe den Eltern nicht vor, welche
Geräte die Jugendlichen haben sollten. Dass Lehrer mit den Schülern via
Klassen-Chat kommunizieren, findet er in Ordnung. Aber: «Es wäre mir neu, dass
es keine Telefonkette mehr gibt.» Denn die Lehrperson müsse gewährleisten, dass
wichtige Informationen bei allen Kindern ankommen. «Sonst müsste ich als
Schulleiter vehement dagegen sein.» Aber werden seine Schüler nicht
angestiftet, eine Regelwidrigkeit zu begehen? Fast keiner der Sekschüler ist 16
Jahre alt. «Die meisten benutzen WhatsApp schon. Wenn die Eltern das erlauben,
geht das für mich in Ordnung.»
Für viele
Eltern geht das aber nicht in Ordnung. Sie nerven sich ob der ständigen
Erreichbarkeit der Kinder. «Unsere 14jährige Tochter checkt jeden Morgen ihr
Handy, damit sie keine wichtige Nachricht im Klassen-Chat verpasst.» Die
Tochter besucht eine Sek in der Innenstadt. Zu Beginn der 7. Klasse hätten noch
nicht alle Kinder ein Smartphone gehabt. Das habe sich schnell geändert. «Per
Klassen-Chat wurde mitgeteilt, dass die erste Lektion ausfällt. Die Schüler
ohne Smartphone standen dann in der Schule.»
Im Chat
wird alles besprochen
Ohne
Smartphone werde man zum Aussenseiter. «Im Klassen-Chat wird alles besprochen»,
sagt der Vater. Ohne WhatsApp kann man nicht mitreden, nicht abmachen. Wenn die
Familie ein Wochenende offline verbringt, will die Tochter am Sonntagabend die
500 Nachrichten im Chat lesen, damit sie am Montag mitreden kann. Man habe das
an einem Elternabend angesprochen, die Schulleitung habe versprochen, sich darum
zu kümmern – geändert habe sich nichts.
So
schnell wird sich auch nichts ändern. Das Schulamt der Stadt St. Gallen sagt,
es sei Schulen und Lehrern selber überlassen, den Umgang mit Smartphone und
Klassen-Chat zu regeln.
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