29. Mai 2016

Wer ist Jürg Wiedemann?

Wenn Baselland am 5. Juni über seine bildungspolitische Zukunft entscheidet, schauen nicht nur Schweizer Bildungspolitiker auf den Kanton. Auch steht dann eine Person im Vordergrund, an der sich die Geister scheiden: Jürg Wiedemann.
Führt den Kampf gegen den Lehrplan 21 im Baselbiet an: Jürg Wiedemann, Bild: Dominic Steinmann
Der Kopf der Widerstandsbewegung, NZZ, 27.5. von Valerie Zaslawski
«Liebe Schülerin, lieber Schüler, hier findest du Arbeitsunterlagen zum Unterricht, wie zum Beispiel Skripte, Übungsblätter, teilweise Lösungen und auch Bilder», schreibt Jürg Wiedemann auf seiner Homepage. Der 56-Jährige ist Sekundarlehrer im Kanton Basel-Landschaft. Mit der Schulleitung hat er vereinbart, dass seine Institution in den Medien nicht erwähnt wird. Dies, weil er auch politisch aktiv ist: Er, der für das Gespräch zu sich nach Hause nach Birsfelden eingeladen hat, ist sozusagen der Kopf der kantonalen Widerstandsbewegung gegen den Lehrplan 21. Am 5. Juni entscheidet das Baselbieter Stimmvolk gleich über drei Vorlagen – wobei zwei Initiativen von ihm eingereicht wurden – und somit über die bildungspolitische Zukunft des Kantons.
Eklat mit den Grünen
Sein Engagement als Lehrer steht gewissermassen am Anfang seiner politischen Karriere, zumindest was die mediale Aufmerksamkeit betrifft, die Wiedemann seit 2012 – in Anführungszeichen – geniesst. Damals brachte er als Grünen-Landrat zusammen mit seinem Komitee «Gute Schule Baselland» eine erste Bildungsinitiative mit dem Titel «Betreuung der Schüler optimieren» vors Volk; mit über 60 Prozent Nein-Stimmen scheiterte er grandios. Zahlreiche weitere Vorlagen mit ähnlichen Stossrichtungen folgten und scheiterten ebenfalls – grandios.
Im Rahmen dieser Initiative lancierte Wiedemann ein Pilotprojekt, für das Lehrpersonen ihre Präsenzzeit erhöhten; die Schülerinnen und Schüler durften jederzeit zu Hause anrufen. An diesem Pilotprojekt nahm auch seine Schülerin Saskia Olsson, Jahrgang 1993, teil. Dass Olsson für Wiedemanns weitere politische Laufbahn eine zentrale Rolle spielen sollte, war damals noch unklar: 2015 schlossen ihn die Grünen sowohl aus der Kantonalpartei als auch aus der Landratsfraktion aus.
Aber von vorne: Nachdem Olsson im Rahmen des Pilotprojektes Wiedemanns «optimierte Betreuung» genossen und an einer von «Gute Schule Baselland» organisierten Pressekonferenz über ihre Erfahrungen gesprochen hatte, erhielt sie die vom Komitee neu ausgeschriebene Sekretariatsstelle. «Mit viel Engagement», wie Wiedemann sagt, schaffte es die Kunst- und Wirtschaftsstudentin vor vier Jahren auch gleich in die Geschäftsleitung des Vereins, der heute «Starke Schule Baselland» heisst und über 4000 Sympathisanten zählt. Seither zieht Olsson hier die Fäden und stellt die kantonale Bildungspolitik auf den Kopf; viel zu sagen hat ihr Wiedemann offenbar nicht mehr: « In vier von fünf Fällen hole ich den Kaffee und bündele das Altpapier», erzählt er und lacht.
Sein bildungspolitisches Engagement kam seinem Tun als Umweltpolitiker indes immer mehr in die Quere. Zum Eklat mit den Grünen kam es schliesslich, als die «Starke Schule Baselland» mit Wiedemanns Unterstützung die FDP-Politikerin und heutige Regierungsrätin Monica Gschwind im Februar 2015 zur Wahl empfahl, weil sie dem Komitee in Sachen Bildung am besten passte. Wiedemann habe ausserdem damit gedroht, er trete zu den Nationalratswahlen vom darauffolgenden Herbst mit einer konkurrenzierenden Liste an, um den Grünen-Sitz von Maya Graf zu gefährden, erzählt Parteipräsidentin Florence Brenzikofer. Es dauerte nicht lange, und Olsson rief eben diese Konkurrenzpartei ins Leben: die Grünen-Unabhängigen. Zu einem von der Geschäftsführerin angebotenen Listenplatz sagte Wiedemann weder Ja noch Nein. Nachdem Brenzikofer durch einen Journalisten der «Basler Zeitung» von seinen Plänen erfahren hatte und die Geschäftsleitung sowie der Vorstand seinen Parteiausschluss beantragt hatten, entschied sich Wiedemann dann doch noch für ein erfolgloses Ja.
In der GSoA sozialisiert
Oberflächlich scheinen die Wunden heute verheilt zu sein. «Ich würde nochmals alles gleich machen», sagt Wiedemann ganz ohne Unmut. Mit dem Parteiausschluss habe er emotional keine Mühe gehabt, mit der «Machtstruktur» der Grünen hingegen schon. Seine Vergangenheit bei der Gruppe Schweiz ohne Armee, in deren Regionalgruppe er sich in seinen Zwanzigern engagierte, habe ihn geprägt, er sei sich basisdemokratische Strukturen gewohnt.
Für Brenzikofer, in deren Stimme noch immer leichter Groll mitschwingt, wenn es um Wiedemann geht, war der Parteiausschluss der richtige Entscheid – auch im Nachhinein. Die Strukturen der Grünen bezeichnet sie als «sehr basisdemokratisch». Es sei Wiedemann, der sich undemokratisch verhalte. Erst diese Woche veröffentlichte die «Basellandschaftliche Zeitung» einen Bericht, in dem die Amtliche Kantonalkonferenz der Baselbieter Lehrkräfte Wiedemann vorwirft, er rechne Umfrage-Ergebnisse über den Lehrplan 21 zu seinen Gunsten um. Im Jonglieren mit Zahlen ist Wiedemann geübt: Zwischen 2003 und 2008 sass er in der Finanzkommission; das Einarbeiten sei ihm schwergefallen. Wenn er Geschäfte habe vertreten müssen, habe er sich inhaltlich an der SP orientiert, erzählt er mit einem Schmunzeln. Insgesamt reichte er 50 bis 60 Vorstösse zu Chemiemülldeponien ein. 2006 rutschte er für Brenzikofer in die Bildungskommission nach, wo er sich den Lehrplan 21 vorknöpfte. Wie Brenzikofer, die selber Lehrerin ist, sagt, sorgen seine vielen Bildungsinitiativen in der Bevölkerung und vor allem in der Schule lediglich für Verunsicherung.

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