Auf das neue Schulsemester im August 2016
will die Leitung der Sekundarschule Aesch den Stundenplan komplett umstellen –
als erste Sekundarschule im Baselbiet. Der Unterrichtsbeginn soll von 7.30 Uhr
auf 8.20 Uhr verschoben werden – eine Schulstunde später. Dafür gibt es keine
freien Nachmittage mehr für die Schüler.
Sek wird zur "20-ab-achti-Schule", Basler Zeitung, 4.5. von Daniel Wahl
An dieser gross angelegten
Stundenplanänderung haben die drei Schulleiter Carol Rietsch, Beatrice Hauck
und Anna Iten seit rund drei Jahren gehirnt. Immer wieder hätten sie
festgestellt, dass Stundenpläne mit neun Lektionen am Tag ungünstig seien. «Das
war Auslöser, die Pläne zu überdenken. Ihren Entscheid stützen sie ferner auf
die Ergebnisse chronobiologischer Studien. «Bei Schülern in der Pubertät kommt
es zu hormonell gesteuerten Schlafverzögerungen. Abends können sie kaum
einschlafen, morgens sind sie in den ersten Schulstunden noch müde», sagt
Schulleiter Rietsch. Auf diese Erkenntnisse der Wissenschaft wolle man
reagieren. Das führe zu besserem Lernverhalten. Die Morgenmuffel kommen
aufgeweckter in die Schule.
Der Entscheid ist am
Lehrerkonvent vom 3. März gefallen. Nun würden zwei Mathematiker eingesetzt, um
Unterrichtspflichtstunden, Wahlfächer, Belegung von Turnhallen und Musikzimmer
bestmöglich aufeinander abzustimmen, ohne dabei Zwischenstunden für Schüler und
Lehrer zu verursachen. Danach soll es nochmals zu einem Feinschliff kommen, um
restliche Bedenken an der Schule ausräumen zu können.
Für das Ausschlafen am
Morgen dürften die Schüler aber einen hohen Preis bezahlen: Es wird keine
freien Nachmittage mehr geben. Die Schule dauert in der Regel bis 17 Uhr. Erst
danach geht es an die Hausaufgaben, ins Fussballtraining oder in die
Klavierstunde. Freifächer werden ausschliesslich auf die dritte und vierte
Lektion am Mittwochnachmittag gelegt, was zwangsläufig eine Angebotsreduktion
zur Folge hat.
«500 Eltern, 500
Meinungen»
Obschon die Veränderung im
Alltag für die Kinder einschneidend sein wird und sich gegebenenfalls auch
Eltern am Morgen neu zu organisieren haben, konnten sie am Entscheid nicht
mitwirken. Dabei wäre die Schulleitung in der Verordnung für die
Sekundarschulen aufgefordert, «für eine altersgemässe Mitwirkung der
Schülerinnen und Schüler an wichtigen Entscheidungsprozessen ihrer Schulen» zu
sorgen und «die Mitwirkung der Erziehungsberechtigten am Entwicklungsprozess
ihrer Schulen zu gewährleisten». Rietsch aber meint, dass dies bei der
Stundenplanung nicht möglich sei. «Bei 500 Eltern gibt es auch 500 Meinungen.»
Bis heute wurde bis auf den Schulrat niemand über die Pläne informiert.
Die «absolutistischen
Pläne der Schulleitung» werden von interner Seite kritisiert. Nicht von
ungefähr interessierten sich die Schüler immer zuerst für die freien
Nachmittage, erklären Lehrer. Schüler brauchen sie zur Pflege von sozialen
Kontakten, für Sport und Musik, aber auch, um gelegentlich Zeit mit sich selbst
zu verbringen. Freie Nachmittage würden auch zur Prüfungsvorbereitung oder zum
Besuch bezahlter Nachhilfestunden benötigt. Das sei kaum mehr möglich. Die
Schulleitung rechnet anders: Die Schüler verbringen nach der Umstellung keine
einzige Stunde mehr an der Sekundarschule. Netto bleibe alles beim Alten.
Die Meinungen, ob das
Vorhaben sinnvoll ist, gehen diametral auseinander. So befürchten Lehrer, dass
es zu noch mehr Absenzen kommen werde, weil vermehrt Schüler
eigenverantwortlich aus ihrem Elternhaus starten müssen, während die Eltern
bereits an ihrem Arbeitsplatz tätig sind. Schulleiter Rietsch glaubt an
umgekehrte Effekte: «Weil die Schüler weniger müde sind, verschlafen sie sich
weniger, es kommt zu weniger Verspätungen und Absenzen.» Vordergründig wird ihm
die Forschung recht geben. Zwar habe jeder Mensch genetisch bedingt einen
anderen Schlafrhythmus, der grob in Frühaufsteher und Nachtmenschen
unterschieden wird. Das Schlaf-Wach-Verhalten ändere sich aber ganz
grundsätzlich im Laufe des Lebens, wie die Forscherin Myriam Juda («Die
biologische Tagesuhr» und «Schlaf im Alter») herausgefunden haben will. «Kinder
wachen eher früh auf, bei Jugendlichen verlagert sich das immer weiter nach
hinten, mit einem Höhepunkt um das zwanzigste Lebensjahr. Dann geht es wieder
rückwärts: Senioren wachen sehr früh auf», sagte sie gegenüber der Süddeutschen
Zeitung.
Künftig dickere Schüler?
Andere Studien kommen
wiederum zu nachteiligen Ergebnissen. Frühaufsteher bleiben schlank, hat Carol
Maher von der Universität South Australia bei der Untersuchung von 2200 Kindern
herausgefunden. Grund: Die Abendzeit werde in der Regel recht unsportlich
verbracht. Kinder, die am Abend länger aufbleiben, werden auch mehr Nahrung am
Abend zu sich nehmen. Ohnehin glauben die Kritiker der Umstellung, der Effekt
weniger müder Kinder verpuffe – weil sie noch später ins Bett gingen.
Dereinst werden auch die
beiden Kleinkinder von Bildungspolitikerin Sabrina Corvini Mohn – sie wohnt in
Pfeffingen – in die Sekundarschule Aesch eintreten. Die CVP-Landrätin
sympathisiert grundsätzlich mit dem Gedanken des verspäteten
Unterrichtsbeginns. Dass aber die Sek Aesch alleine im Kanton vorprescht, hält
sie für weniger klug. Die Sek Aesch werde zur Zeitinsel. Und gewünscht hätte
sie sich, dass die Schulleitung weniger autokratisch vorgegangen wäre und die
Eltern miteinbezogen hätte.
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