Lehrerverbände - Back to the Roots! Fritz Tschudi
Schön
falsch ist auch schön
Dieser
Ausspruch stammt vom Schweizer „Bildungsunternehmer“ Peter Fratton. Der Mann
steht für Utopien wie seine Gesinnungsgenossen Hüther und Precht. Der
pädagogische Konstruktivismus sei unverzichtbar für eine gelingende moderne
Schule wird ohne jeden Tatbeweis behauptet. Dies ist auch das pädagogische
Credo für den Lehrplan 21 und die künftigen Lehrmittel. Der Methodenzwang ist
damit gegossen, die Methodenfreiheit in den engen Grenzen dieser Ideologie
eingepfercht. Als Berater in Sachen Gemeinschaftsschulen in einem deutschen
Bundesland angeheuert, liess sich Fratton Mitte 2013, bei einer
Landtagsanhörung zur Äusserung hinreissen, dass er – sollten seine
reformpädagogischen Empfehlungen in die Tat umgesetzt werden – „keine Ahnung“
habe, „was dabei herauskommt. Aber schön falsch ist auch schön“. Ein zynischer
Witzbold dieser Fratton – Potz Tausend! Ach ja, nach einem entsprechenden Artikel in
der FAZ wurde der Heilsapostel umgehend gefeuert.
Wie
konnte es so weit kommen? Welche Kräfte haben dazu geführt? Wo blieb der Diskurs,
wo gut verbreitete Bedenken aus der Erziehungswissenschaft und der
Bildungspolitik? Offensichtlich wurde dem pädagogischen Extremismus auch
hierzulande wenig Aufmerksamkeit gewidmet, bis es zu spät war. Ob Fratton und
Co. inzwischen an Bedeutung eingebüsst haben wage ich zu bezweifeln angesichts der
Deutungsmacht, welche die „pädagogischen Konstruktivisten“ durch den neuen Lehrplan 21 erlangt haben.
Das
abstruse kinderfeindliche Konstrukt ist heute, noch vor der Einführung des
LP21, quasireligiöses Dogma in der Lehrerausbildung und unaufhaltsam unterwegs
in die Unterrichtspraxen – flächendeckend.
„Als dieser Lehrer
seiner Klasse kürzlich zu Wochenbeginn in Mathematik bis zu 20 Seiten im Übungsheft
zu lösen aufgab, war sein Kommentar dazu: «Jeder macht, soweit er kommt.»
Tatsächlich überliess er die Schülerinnen und Schüler – Drittklässler! – ihrem
Schicksal, selber während der Woche mit der «individualisierten»
Aufgabenstellung über die Runden zu kommen – schliesslich sei es ja an ihnen,
ihren Lernprozess zu regulieren, d.h. dass sie «ihre eigenen Lernstrategien entwickeln
und anwenden und ihre Lernprozesse eigenständig überwachen und regulieren»
sowie darüber reflektieren und sich letztlich selbst beurteilen sollen. Gerne
würde man sich den Studenten zeigen lassen, der sein Studieren auf diese Weise
«reguliert»… Obwohl …(die Schülerin) ein aufgewecktes und vifes Mädchen ist,
geht sie äusserst ungern zur Schule…. Wen wundert‘s! Sie steht stellvertretend für
viele Kinder, die heutzutage schon in den ersten Schuljahren den «Schulverleider»
haben – ein Phänomen, das früher äusserst selten zu beobachten war“.
… und die Lehrerverbände?
Akzeptieren sie die Entlassung der Lehrer aus ihrer Verantwortung? Freuen sie
sich über die Deprofessionalisierung des Lehrerberufs, über das Verschwinden
der Lehrer und der Fachlichkeit?
Durch die
Ausrichtung am pädagogischen Konstruktivismus wird die berufliche Arbeit der
Lehrer klar abgewertet. Es fehlen vorläufig noch die unvermeidlichen Vorstösse
in den Parlamenten auf Senkung der Löhne für die „Kumpels“ und „Lernbegleiter“.
Defizite
im Selbstverständnis mancher Verbände, wie mangelhafte Eigenständigkeit und ideologische Unabhängigkeit, die fast
vollständige Auslagerung der pädagogischen Deutungshoheit an externe
Institutionen, sind offenkundig. Sie hinterlassen eine dauerverunsicherte Basis
und belasten das Vertrauen in die Vereinsführung. Während in „alternativen“
Lehrerverbänden laut darüber nachgedacht wird, im Bedarfsfall fundamentale
Kritik (in Klartext) zu üben oder gar ein Reformprojekt bachab zu schicken, folgen
die „Offiziellen“ überwiegend dem obersten Gebot, der Anpassung. Sie folgen
darum dem aktuellen pädagogischen Mainstream g r u n d s ä t z l i c h (=
klassische Leerformel). Damit werden die Erwartungen der Obrigkeit und der PH in
lobenswerter Weise erfüllt. Es ist auffallend, wie die „Offiziellen“ sich
bemühen, wenigstens ein paar meist marginale Probleme zu extrahieren, um die
Promotoren nicht einfach an den Mitglieder vorbeiwinken zu müssen.
Die zentrale
Frage ist, ob sich der Verband um einen f r e i e n Meinungsbildungsprozess in
der Basis b e m ü h t hat. Voraussetzung dafür ist die Bereitstellung von
vielfältigen und ausgewogenen Informationen, geschrieben von unterschiedlich
positionierten Fachautoren. Ebenfalls unverzichtbar ist die Anregung von
Debatten in den Publikationsmedien des Vereins.
Die
routinierte Erfüllung von Selbstverständlichkeiten wie gelegentliche
Meinungsumfragen in der Basis und die formaldemokratisch notwendigen
Abstimmungen anlässlich der Hauptversammlung sagen aber gar nichts darüber aus,
wie aktiv die Vereinsführung zur Förderung der freien Meinungsbildung
beigetragen hat. Die durchaus beobachtbare Beschränkung auf formaldemokratische
Abläufe spricht für einen kontraproduktiven Minimalismus, den man von
Vertretern einer bedeutenden Profession niemals erwarten würde. Die Frage nach
den Gründen für die ausgeprägte Debattierscheu im Umgang mit Innovationen ist offen
und schonungslos zu stellen und zu diskutieren. Ist es Naivität, Unwille, Ängstlichkeit,
Unfähigkeit, Bequemlichkeit oder Abgehobenheit der Führungsriege?
Der Kernauftrag
jedes Lehrerverbandes ist die Aufnahme und Unterstützung berechtigter Anliegen
und Erwartung von Schule und Lehrerschaft.
Ich
erachte es als zwingende Pflicht jedes Lehrerverbandes, nach Kräften zur f r e i
e n Meinungsbildung seiner Mitglieder beizutragen. Der Grundanspruch ist
sachlich daraus abzuleiten, dass für jede Lehrperson die Bildung eigener
Überzeugungen für die erfolgreiche und beglückende Berufsausübung existenziell
ist. Dieser Anspruch ist im ureigenen Interesse aller Lehrpersonen und
nicht minder im Interesse der Schulen.
Meine
kritischen Feststellungen und Fragen gründen hauptsächlich auf Beobachtungen
und Erfahrungen in meinem „eigenen“ Verband. Der regelmässige Blick über den
Tellerrand bestärkt mich in der Vermutung, dass ein Teil der Unzulänglichkeiten
in einem umfassenden Gesinnungswandel in der Selbstwahrnehmung und damit im
Rollenverständnis der Vereine zu tun hat.
Wie
erklären Sie sich, geschätzte Leserin, geschätzter Leser, dass inmitten einer
bisher nie dagewesenen Flut von Reformen mit teils brisanten Ansätzen,
Vereinsführungen nichts Zweckdienlicheres zu tun wissen, als ihre Basis irgendwie
ruhig zu stellen?
Lehrerverbände
haben eine Informationspflicht. Informationen über kontroverse Themen haben
ausgewogen und möglichst transparent zu erfolgen. Dieser Anspruch gilt
selbstverständlich auch für Texte, die den Vorstellungen der Verbandsführung
zuwider laufen.
In hohem
Masse unredlich ist es, wenn ein Verein seine Publikationsplattform den Promotoren
von Reformprojekten freizügig zur Verfügung hält, während kritische Beiträge von
Fachautoren (zum selben Thema) ausgeschlossen bleiben.
Sicher
wäre es naiv, an die Existenz neutraler Informationen bei Reformvorhaben zu
glauben. Jeder Text spiegelt die Haltung der Autoren wider, kann also niemals
frei von Beeinflussungsabsichten sein. Als verwerflich empfinde ich den
Versuch, Fachtexten besondere Wissenschaftlichkeit zuzuschreiben, nur um gegnerische
Kritik als unglaubwürdig erscheinen zu lassen und damit der Debatte zu
entziehen. So kann auf einfachste Weise die Mehrheit der Mitglieder stumm
geschaltet werden.
In der Informationspraxis
geht es um die Beanspruchung der Deutungshoheit, um Meinungsbildung und -verbreitung,
letztlich um Dominanz und Macht.
Es
entscheiden nicht die besseren Argumente aus dem Zweikampf widersprüchlicher
Theorien, auch nicht die Empirie, weil die Praxis fehlt oder diese wegen
negativer Erfahrungen (Kompetenzorientierung/ konstruktivistischer Unterricht) als
„nicht hilfreich“ gezielt ausgeblendet wird. Entscheide ergeben sich aus den
Meinungen relevanter Akteure. Dabei ist es für das Zustandekommen klarer
Stellungnahmen gleichgültig, ob diese durch Propaganda und Indoktrination geprägt oder das
Ergebnis freier Meinungsbildung sind. In einer demokratischen Gesellschaft
spricht alles dafür, die freie Meinungsbildung vorzuziehen.
Aus
dieser Sicht ist es unverzichtbar, unterschiedliche Befunde und unterschiedliche
sachliche Standpunkte stets gleichwertig zu Worte kommen zu lassen.
Zu
achten ist auf die allgegenwärtige Gefahr des Aufkommens indoktrinärer
Tendenzen, welche durch systematisch einseitige Informationsstrategien, bei
gleichzeitiger Vergabe von Maulkörben an interne Kritiker und durch
Unterdrückung freier Debatten geschürt werden können. Ich bin mir sicher, dass
keine Vereinsleitung den Vorwurf riskieren will, durch indoktrinäre Absichten,
der Bevormundung und damit der Entmündigung der Lehrerschaft Vorschub leisten
zu wollen.
Wenn die
Verbandsführung sich aber als Steuerknecht für Meinungsmache missbrauchen
liesse, sollten alle Alarmglocken läuten.
Wer
fleissig in den Vereinspublikationen zugange ist, kann sich des Eindrucks allerdings
nicht erwehren, dass mit Begehrlichkeiten der Bildungsadministration oder
externer Akteure bevorzugt unkritisch umgegangen wird, wohl getrieben von der
Befürchtung, andernfalls als reaktionär, konservativ und rückwärtsgewandt gebrandmarkt
zu werden. Es ist genau jenes Gebaren der Unterwürfigkeit, der Mutlosigkeit zur
beharrlichen Bewirtschaftung eigener Postulate und Forderungen, welches den
Eindruck erweckt, der Lehrerverband betätige sich eher als verlängerter Arm der
Bildungsbürokratie, als willkommene Gehilfe zur Disziplinierung der eigenen Basis.
Wenn dem so wäre, dürfte es keinen verwundern, wenn sich Lehrerverbände der
Basis zusehends weiter entfremdeten.
Im 2. Teil berichte ich
von aktuellen Erfahrungen nach bald 48 Jahren Mitgliedschaft in „meinem“
Verein.
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