18. März 2015

Bitte vorzeigen, liebe Unterrichtsexperten

Der Expertenstatus im Bildungswesen wird hauptsächlich durch die Medien vergeben. Es ist leider nicht immer die Fachkundigkeit, welche aufhorchen lässt. 
Üblich ist der marktschreierische Auftritt als Bildungsunternehmer, das missionarische Gehabe als Heilsbringer oder die gewiefte Präsentation vermeintlich wissenschaftlich gesicherter Notwendigkeiten, bei gleichzeitiger Verachtung für alles Bisherige. Die Ehrerbietung durch das Publikum sollte sich darum in Grenzen halten, würde ich meinen. Doch weit gefehlt.
Best practice: Vor die Klasse stehen und vorzeigen, liebe Unterrichtsexperten, Schulblog Südostschweiz, 18.3. von Fritz Tschudi


Das Schlagwort «Experte» ist frei verfügbar; man kann sich auch selbst zum Experten ernennen. Der inflationäre Gebrauch des Begriffs und die Dominanz von selbst ernannten Experten im Bildungsdiskurs sind erschreckend.
Wirkliche Experten verzichten auf sektiererisches Gehabe, sie schüren keine Medienhypes. Unterricht ist zu 100 Prozent Praxis. Die kompetentesten Experten sind daher die vielen engagierten Lehrerinnen und Lehrern aller Stufen – und nur diese! Externe Akteure ohne politische Legitimation haben sich zurückzuhalten.
In einem Leserbrief in der SO äusserte sich kürzlich eine Mutter dreier Kinder besorgt: «Die Schüler sollen möglichst viel selber ausprobieren und sind dabei ständig überfordert.» Das Englischlehrmittel «New World» kommt schlecht weg. Die Kinder würden alleine gelassen. «Kein Aufbau, keine klare Grammatik.» Grammatikübungen müssten aus dem (alten) «Snapshot» kopiert werden, um das Manko zu beheben. «Wer entscheidet über die neuen Lehrmittel?», fragt sie und meint treffend: «Eigentlich sollten es die Lehrer sein. Sie haben am meisten Erfahrung und müssen/dürfen damit arbeiten.»
Lehrer und Eltern bleiben aber zumeist ungehört, weil sie sich durch ihr Schweigen der öffentlichen Debatte entziehen. Lehrpersonen trösten sich wohl im Vertrauen auf den Lehrerverband, der schon wüsste, was im Sinne der Schule und der Mitglieder sei. Diese Haltung ist trügerisch und selten zielführend.

• Hilfreicher wäre es, wenn deutlich mehr Lehrpersonen, aber auch mehr Eltern sich dazu entschliessen würden, ihre Ansichten in die öffentlichen Medien tragen.
Aufgeblasene Unpraktiker haben das Sagen
«Schön falsch ist auch schön». Dieser Ausspruch stammt vom Schweizer «Bildungsunternehmer» Peter Fratton. Der Mann weibelt für Utopien wie seine Gesinnungsgenossen Hüther und Precht. Selbst gesteuertes und selbst organisiertes Lernen in jahrgangsübergreifenden Schulklassen sei unverzichtbar für eine gelingende moderne Schule. Derart unbekümmerte Behauptungen, ausgesprochen ohne jeden Tatbeweis, haben es merkwürdigerweise geschafft, die Mehrheit unserer massgebenden Bildungseliten zu bezirzen. 

• So ist es nicht verwunderlich, dass die «konstruktivistische Heilsbotschaft» zum pädagogischen Credo für den Lehrplan 21 und die künftigen Lehrmittel geworden ist. 
Die Lehrer (Pardon, Coaches) hatten sich bereits lange vor der eventuellen Einführung eines neuen Lehrplans, dem engen Korsett des «Nicht-Unterrichtens» anzupassen. Der Methodenzwang ist damit gegossen, die Methodenfreiheit in die engen Grenzen dieser Ideologie gepfercht. 
Eigenständige Lehrpersonen, welche Lerninhalten auch künftig aktiv vermitteln wollen, daran aber durch die neue Unterrichtsdoktrin gehindert werden, verweisen zu Recht auf die Tatsache, dass Kompetenzen aus assimilierten Lerninhalten erwachsen und nicht umgekehrt. «Kompetenzorientierung schlägt in die Negation jedes verbindlichen Wissens um» (Prof. K.P. Liessmann).

• Die Absurdität findet ihren vorläufigen Höhepunkt in der Pervertierung des Berufsauftrags, wonach der «Nicht-Unterricht» zum alternativlosen Dogma geworden ist. Dass die Professionalität des Lehrerberufes abgebaut, und sich damit die Frage nach der Daseinsberechtigung stellt, sollte inzwischen auch den Lehrerverbänden klar geworden sein. 

Als Berater in Sachen Gemeinschaftsschulen in einem deutschen Bundesland angeheuert, liess sich Fratton Mitte 2013, bei einer Landtagsanhörung zur Äusserung hinreissen, dass er – sollten seine reformpädagogischen Empfehlungen in die Tat umgesetzt werden – «keine Ahnung» habe, «was dabei herauskommt. Aber schön falsch ist auch schön». Ein zynischer Witzbold dieser Fratton, der nach einem entsprechenden Artikel in der FAZ aber immerhin umgehend gefeuert wurde. 
Wie aber konnte es hierzulande so weit kommen? Warum blieben die Bedenken aus der Erziehungswissenschaft und der Bildungspolitik ungehört? Quasireligiöse Eiferer als Zerstörer unserer bewährten Schulen, um die uns die Welt beneidet? Offensichtlich wurde dem pädagogischen Radikalismus zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet, bis es zu spät war. Den Gurus und ihren Jünger war es – unter Anleitung der OECD und der Unterstützung durch die Pädagogischen Hochschulen - gelungen, jeden Widerstand als das Werk ewig-gestriger Reaktionäre oder fortschrittsfeindlicher Trottel darzustellen («naming and shaming»). Die flächendeckende Angststarre der potenziellen «Veto-Player» erledigte den Rest! 

• Der aggressive (konstruktivistische) Glaube à la Fratton und Co. hat sich bislang in keiner öffentlichen Schule ausbezahlt: Überforderte, verstörte Kinder (…und Lehrer), wachsende Chancenungleichheit, verpönte Lerninhalte auf erbärmlichem Level und banale Kompetenzen als Outputs. Leistungsnivellierung nach (weit) unten! Wen freut’s? – Genau darüber sollte man endlich vertieft nachdenken!
Schluss mit Sprüchen!

Dozenten an Pädagogischen Hochschulen werden gerne als Experten für alles, was mit Schule zu tun hat, gehandelt. Sie haben sich als verlässliche Vollstrecker des pädagogischen Mainstreams, weitab von freier Forschung und Lehre positioniert. Reines Nützlichkeitsdenken bestimmt die Ausbildung künftiger Lehrerfunktionäre, wobei auf die Entwicklung beruflicher Eigenständigkeit und freien Denkens  meines Wissens  kaum Wert gelegt wird, da derartige Persönlichkeitsmerkmale heute als belastend gelten. Der neue Lehrerfunktionär ist für jede verordnete Zumutung offen, «gläubig» und fügsam, mit dem Ausbildungsschwerpunkt «Unterrichtslogistik», als wichtigster, durch den Coach zu verantwortenden (schweisstreibenden) Tätigkeit in der konstruktivistischen Lernlandschaft. Da aktives Lehren weitgehend in den Hintergrund tritt, erübrigt sich auch die gründliche Aneignung von Fachwissen. Zwischen der PH und der Bildungsadministration besteht eine symbiotische Beziehung (nicht aber zu den Coaches). 

• Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang die massive Eingriffigkeit in die Persönlichkeit der Lehrpersonen-Fachschülerinnen und Fachschüler (!). Was ist von einer Lehrerausbildung zu halten, wo modische Beliebigkeit und Orientierungslosigkeit dominieren, wo Traditionen verhöhnt, auf echte Wissenschaftlichkeit verzichtet wird, wo Utopie und Fortschritt identisch ist, wo Rousseau im Hintergrund wirkt, aber den Lernenden unbekannt ist?
In Gesprächen erfahre ich immer öfters, wie starke Lehrerinnen und Lehrer mit «vorsorglicher Aufmerksamkeit» durch Vorgesetzte bedacht würden, während Konformität durch freundliche Zuwendung honoriert werde. Keine Frage: Angehende und praktizierende Lehrpersonen werden permanent auf ihre «schicksalhafte» berufliche Fremdbestimmung getrimmt!

An die Arbeit meine Damen und Herren!
Um die Praxissensibilität der Lehrerausbildner rudimentär anzuheben, sei dem Rektorat der Pädagogischen Hochschule geraten, Dozierenden in praxisrelevanten Disziplinen, Praktika in Oberstufenklassen zu verordnen. 
Die Praktizierenden hätten als selbstverantwortliche Klassenlehrpersonen eine heterogene Klasse zu führen und ihre eigenen, allseits verkündeten Grundsätze zur Sicherstellung eines Lehrplan 21-kompatiblen Unterrichts, vorbildlich umzusetzen (inkl. Selbststeuerung, Selbstorganisation, Individualisierung, Binnendifferenzierung, Logistik).


Wenn die PHGR diese Empfehlung – wie zu erwarten – schweigend aussitzt, sollte sie sich inskünftig in neuer Bescheidenheit üben.

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