Der Expertenstatus im
Bildungswesen wird hauptsächlich durch die Medien vergeben. Es ist leider nicht
immer die Fachkundigkeit, welche aufhorchen lässt.
Üblich ist der
marktschreierische Auftritt als Bildungsunternehmer, das missionarische Gehabe
als Heilsbringer oder die gewiefte Präsentation vermeintlich wissenschaftlich
gesicherter Notwendigkeiten, bei gleichzeitiger Verachtung für alles Bisherige.
Die Ehrerbietung durch das Publikum sollte sich darum in Grenzen halten, würde
ich meinen. Doch weit gefehlt.
Best practice: Vor die Klasse stehen und vorzeigen, liebe Unterrichtsexperten, Schulblog Südostschweiz, 18.3. von Fritz Tschudi
Das Schlagwort «Experte»
ist frei verfügbar; man kann sich auch selbst zum Experten ernennen. Der
inflationäre Gebrauch des Begriffs und die Dominanz von
selbst ernannten Experten im
Bildungsdiskurs sind erschreckend.
Wirkliche
Experten verzichten auf
sektiererisches Gehabe, sie schüren keine Medienhypes. Unterricht ist zu 100
Prozent Praxis. Die kompetentesten Experten sind daher die vielen engagierten
Lehrerinnen und Lehrern aller Stufen – und nur diese! Externe Akteure ohne
politische Legitimation haben sich zurückzuhalten.
In einem Leserbrief in der
SO äusserte sich kürzlich eine Mutter dreier Kinder besorgt: «Die Schüler
sollen möglichst viel selber ausprobieren und sind dabei ständig überfordert.»
Das Englischlehrmittel «New World» kommt schlecht weg. Die Kinder würden
alleine gelassen. «Kein Aufbau, keine klare Grammatik.» Grammatikübungen
müssten aus dem (alten) «Snapshot» kopiert werden, um das Manko zu beheben.
«Wer entscheidet über die neuen Lehrmittel?», fragt sie und meint treffend:
«Eigentlich sollten es die Lehrer sein. Sie haben am meisten Erfahrung und
müssen/dürfen damit arbeiten.»
Lehrer und Eltern bleiben
aber zumeist ungehört, weil sie sich durch ihr Schweigen der öffentlichen
Debatte entziehen. Lehrpersonen trösten sich wohl im Vertrauen auf den
Lehrerverband, der schon wüsste, was im Sinne der Schule und der Mitglieder
sei. Diese Haltung ist trügerisch und selten zielführend.
•
Hilfreicher wäre es, wenn deutlich mehr Lehrpersonen, aber auch mehr Eltern
sich dazu entschliessen würden, ihre Ansichten in die öffentlichen Medien
tragen.
Aufgeblasene
Unpraktiker haben das Sagen
«Schön falsch ist auch
schön». Dieser Ausspruch stammt vom Schweizer «Bildungsunternehmer» Peter
Fratton. Der Mann weibelt für Utopien wie seine Gesinnungsgenossen Hüther und
Precht. Selbst gesteuertes und selbst organisiertes Lernen in
jahrgangsübergreifenden Schulklassen sei unverzichtbar für eine gelingende
moderne Schule. Derart unbekümmerte Behauptungen, ausgesprochen ohne jeden
Tatbeweis, haben es merkwürdigerweise geschafft, die Mehrheit unserer
massgebenden Bildungseliten zu bezirzen.
•
So ist es nicht verwunderlich, dass die «konstruktivistische Heilsbotschaft»
zum pädagogischen Credo für den Lehrplan 21 und die künftigen Lehrmittel
geworden ist.
Die Lehrer (Pardon,
Coaches) hatten sich bereits lange vor der eventuellen Einführung eines neuen
Lehrplans, dem engen Korsett des «Nicht-Unterrichtens» anzupassen. Der
Methodenzwang ist damit gegossen, die Methodenfreiheit in die engen Grenzen
dieser Ideologie gepfercht.
Eigenständige
Lehrpersonen, welche Lerninhalten auch künftig aktiv vermitteln wollen, daran
aber durch die neue Unterrichtsdoktrin gehindert werden, verweisen zu Recht auf
die Tatsache, dass Kompetenzen aus assimilierten Lerninhalten erwachsen und
nicht umgekehrt. «Kompetenzorientierung schlägt in die Negation jedes
verbindlichen Wissens um» (Prof. K.P. Liessmann).
•
Die Absurdität findet ihren vorläufigen Höhepunkt in der Pervertierung des
Berufsauftrags, wonach der «Nicht-Unterricht» zum alternativlosen Dogma
geworden ist. Dass die Professionalität des Lehrerberufes abgebaut, und sich
damit die Frage nach der Daseinsberechtigung stellt, sollte inzwischen auch den
Lehrerverbänden klar geworden sein.
Als Berater in Sachen
Gemeinschaftsschulen in einem deutschen Bundesland angeheuert, liess sich
Fratton Mitte 2013, bei einer Landtagsanhörung zur Äusserung hinreissen, dass
er – sollten seine reformpädagogischen Empfehlungen in die Tat umgesetzt werden
– «keine Ahnung» habe, «was dabei herauskommt. Aber schön falsch ist auch
schön». Ein zynischer Witzbold dieser Fratton, der nach einem entsprechenden
Artikel in der FAZ aber immerhin umgehend gefeuert wurde.
Wie aber konnte es
hierzulande so weit kommen? Warum blieben die Bedenken aus der
Erziehungswissenschaft und der Bildungspolitik ungehört? Quasireligiöse Eiferer
als Zerstörer unserer bewährten Schulen, um die uns die Welt beneidet?
Offensichtlich wurde dem pädagogischen Radikalismus zu wenig Aufmerksamkeit
gewidmet, bis es zu spät war. Den Gurus und ihren Jünger war es – unter
Anleitung der OECD und der Unterstützung durch die Pädagogischen Hochschulen -
gelungen, jeden Widerstand als das Werk ewig-gestriger Reaktionäre oder
fortschrittsfeindlicher Trottel darzustellen («naming and shaming»). Die
flächendeckende Angststarre der potenziellen «Veto-Player» erledigte den
Rest!
•
Der aggressive (konstruktivistische) Glaube à la Fratton und Co. hat sich bislang
in keiner öffentlichen Schule ausbezahlt: Überforderte, verstörte Kinder (…und
Lehrer), wachsende Chancenungleichheit, verpönte Lerninhalte auf erbärmlichem
Level und banale Kompetenzen als Outputs. Leistungsnivellierung nach (weit)
unten! Wen freut’s? – Genau darüber sollte man endlich vertieft
nachdenken!
Schluss
mit Sprüchen!
Dozenten an Pädagogischen
Hochschulen werden gerne als Experten für alles, was mit Schule zu tun hat,
gehandelt. Sie haben sich als verlässliche Vollstrecker des pädagogischen Mainstreams,
weitab von freier Forschung und Lehre positioniert. Reines Nützlichkeitsdenken
bestimmt die Ausbildung künftiger Lehrerfunktionäre, wobei auf die Entwicklung
beruflicher Eigenständigkeit und freien Denkens – meines Wissens – kaum
Wert gelegt wird, da derartige Persönlichkeitsmerkmale heute als belastend
gelten. Der neue Lehrerfunktionär ist für jede verordnete Zumutung offen,
«gläubig» und fügsam, mit dem Ausbildungsschwerpunkt «Unterrichtslogistik», als
wichtigster, durch den Coach zu verantwortenden (schweisstreibenden) Tätigkeit
in der konstruktivistischen Lernlandschaft. Da aktives Lehren weitgehend in den
Hintergrund tritt, erübrigt sich auch die gründliche Aneignung von Fachwissen.
Zwischen der PH und der Bildungsadministration besteht eine symbiotische
Beziehung (nicht aber zu den Coaches).
•
Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang die massive Eingriffigkeit in die
Persönlichkeit der Lehrpersonen-Fachschülerinnen und Fachschüler (!). Was ist
von einer Lehrerausbildung zu halten, wo modische Beliebigkeit und
Orientierungslosigkeit dominieren, wo Traditionen verhöhnt, auf echte
Wissenschaftlichkeit verzichtet wird, wo Utopie und Fortschritt identisch ist,
wo Rousseau im Hintergrund wirkt, aber den Lernenden unbekannt ist?
In Gesprächen erfahre ich
immer öfters, wie starke Lehrerinnen und Lehrer mit «vorsorglicher
Aufmerksamkeit» durch Vorgesetzte bedacht würden, während Konformität durch
freundliche Zuwendung honoriert werde. Keine Frage: Angehende und
praktizierende Lehrpersonen werden permanent auf ihre «schicksalhafte»
berufliche Fremdbestimmung getrimmt!
An
die Arbeit meine Damen und Herren!
Um
die Praxissensibilität der Lehrerausbildner rudimentär anzuheben, sei dem
Rektorat der Pädagogischen Hochschule geraten, Dozierenden in praxisrelevanten
Disziplinen, Praktika in Oberstufenklassen zu verordnen.
Die
Praktizierenden hätten als selbstverantwortliche Klassenlehrpersonen eine
heterogene Klasse zu führen und ihre eigenen, allseits verkündeten Grundsätze
zur Sicherstellung eines Lehrplan 21-kompatiblen Unterrichts, vorbildlich
umzusetzen (inkl. Selbststeuerung, Selbstorganisation, Individualisierung,
Binnendifferenzierung, Logistik).
Wenn
die PHGR diese Empfehlung – wie zu erwarten – schweigend aussitzt,
sollte sie sich inskünftig in neuer Bescheidenheit üben.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen