Hürzeler: "Harmoskonkordat wird überbewertet", Bild: Aargauer Zeitung
"Wir haben uns auf das für die Schule Machbare beschränkt", Basler Zeitung, 16.2. von Franziska Laur
BaZ: Sie haben das
Bildungsdepartement im Jahr 2009 übernommen, nachdem Ihr Vorgänger abgewählt
und seine Reformvorschläge an der Urne gescheitert sind. Welche Situation
trafen Sie an?
Alex Hürzeler: Ich habe mein Amt
angetreten, als die Abstimmung über das Bildungskleeblatt unmittelbar
bevorstand. Als zuvor öffentlicher Kritiker des aus meiner Sicht zu grossen
Reformwerks kam es mir nicht ungelegen, dass dann das Volk die Vorlage an der
Urne abgelehnt hat. So konnte ich zusammen mit meinen Regierungsratskollegen
eine neue Lagebeurteilung vornehmen. Fakt war, dass aufgrund der
Harmonisierungsvorgaben, welche seit 2006 in der Bundesverfassung verankert
sind, im Kanton Aargau gewisse Reformen nötig waren. Dies galt insbesondere für
den Wechsel von fünf zu sechs Primarschuljahren und von vier zu drei Jahren
Oberstufe. Die neue Abstimmungsvorlage umfasste auch noch das Kindergartenobligatorium
sowie Zusatzressourcen für Gemeinden mit einer erheblichen sozialen Belastung.
An
der Urne wurde dieses Paket 2012 mit einer Zustimmung von 80 Prozent haushoch
angenommen. Was haben Sie besser gemacht als Ihr Vorgänger?
Man
muss sehen, dass bei uns wirklich Reformstau vorhanden war. Wir haben uns aber
auf das politisch und für die Schule Machbare beschränkt. Es zeigt sich immer wieder,
dass grössere Veränderungen ihre Zeit brauchen und dann auch ruhiger eingeführt
werden können.
Sie
haben Tempo rausgenommen?
Ja,
ganz bewusst. So werden wir beispielsweise auch den Lehrplan 21 im Kanton
Aargau erst auf das Schuljahr 2020/2021 einführen. So haben wir Zeit, Aargauer
Lehrplanergänzungen sowie den Einführungsprozess gründlich zu diskutieren.
Schulen brauchen Zeit, um Reformen sorgfältig umzusetzen. Dem tragen wir
Rechnung. Ich masse mir trotzdem nicht an zu beurteilen, in welchem Tempo und
mit welchem Inhalt andere Kantone Veränderungen angehen.
Weshalb
ist der Kanton Aargau dem Harmoskonkordat nicht beigetreten?
Wir
konzentrieren uns auf die Umsetzung der Vorgaben in der Bundesverfassung. Dort
ist in Artikel 62 festgehalten, dass sich die Kantone insbesondere auf
gemeinsame Dauer und Ziele der Bildungsstufen einigen sollen. Im Sommer 2015
wird die Er- ziehungsdirektorenkonferenz Bilanz über den Stand des
Harmonisierungsauftrags ziehen.
Obwohl
der Kanton Aargau nicht Teil des Harmoskonkordats ist, erfüllt er fast alle
Vorgaben. Wo fehlt es noch?
Den
Teil mit den Tagesstrukturen haben wir noch nicht erfüllt. Das Anliegen hat es
im Aargau nicht leicht. Zwei Vorlagen des zuständigen Departements sind im
Grossen Rat bereits gescheitert. Der Regierungsrat ist jedoch entschlossen, das
Thema weiterzuverfolgen. Grundsätzlich finde ich jedoch, dass das
Harmoskonkordat und die Beitrittsfrage überbewertet werden.
Nicht
mehr viel übrig ist jedoch vom vor Jahren hochgejubelten Bildungsraum
Nordwestschweiz.
Ja,
von Ideen wie beispielsweise einer gemeinsamen Bildungsverwaltung ist man
längst abgerückt. Die Zusammenarbeit auf Fachhochschulebene ist hingegen längst
etabliert und mit Staatsverträgen geregelt. Im Volksschulbereich pflegen wir
weiterhin eine sinnvolle Zusammenarbeit, beispielsweise wenn es um die
Entwicklung und Einführung gemeinsamer Leistungstests geht.
Im
wichtigsten Bereich, der Einführung der Fremdsprachen, fährt der Kanton Aargau
einen anderen Zug. Er hat ab dem dritten Schuljahr Frühenglisch, Baselland,
Basel-Stadt und Solothurn hingegen Frühfranzösisch.
Ja,
das wurde einst so beschlossen. Beide Modelle entsprechen der nationalen
Sprachenstrategie aus dem Jahre 2004. Es ist aber absehbar, dass diese Thematik
in den kommenden Jahren auf nationaler Ebene verstärkt diskutiert wird. Nicht
zuletzt, weil Kantone wie Nidwalden und Thurgau auf die Einführung einer
zweiten Fremdsprache in der Primarstufe verzichten wollen. Auch im Aargau
erfüllen wir die Sprachenstrategie derzeit noch nicht ganz. So unterrichten wir
die zweite Fremdsprache Französisch erst ab dem 6. Primarschuljahr, nicht schon
ab der 5. Primarschulklasse.
Die
unterschiedliche Frühsprachenstrategie ist vor allem für die Fricktaler Schüler
ein Problem. Die meisten gehen nach Muttenz oder seltener nach Basel ins
Gymnasium. Dort fehlen ihnen dann ganze drei Jahre Französisch.
Ja,
doch damit ist nun mal umzugehen. Unser Schweizer Schulsystem ist sehr
durchlässig. Zusatzunterrichtsangebo- te helfen mit, dass auch dieser Wechsel
gut machbar ist. Wie schon gesagt, wir gehen Veränderungen bewusst sachte an.
Wir befinden uns in der Volksschule nun im ersten Jahr der Umstellung auf 6/3
und der Einführung des Kindergartenobligatoriums. Wir werden deshalb erst mit
dem Wechsel auf den Lehrplan 21 im Schuljahr 2020/2021 die zweite
Fremdsprache auf die 5. Primarschulklasse verlegen.
Die
Umkehr auf Frühfranzösisch in der 3. Primarklasse ist kein Thema?
Nein,
und es gibt zurzeit auch keinen Anlass dafür.
Gibt
es auch Widerstand gegen den Lehrplan 21?
Ja,
auch im Aargau werden derzeit Unterschriften für eine Initiative gesammelt. Da
wir uns in den nächsten Jahren unabhängig davon sowieso mit dem Lehrplan
beschäftigen, wird in diesem Prozess auch über die Initiative beraten werden
können.
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