3. Oktober 2014

Baselbieter Landrat will mitreden

Was in Zürich nicht klappt, ist nun im Baselbiet Realität. Der Landrat will in Sachen Lehrplan 21 mitreden. Damit wird die Diskussion von den "Experten" hin zu breiteren Schichten der Bevölkerung getragen. Kritiker meinen, das Parlament sei damit überfordert. Man befürchtet eine Politisierung der Bildung. Doch das ist ja schon lange Realität, siehe Bundesrat Berset und seine Interventionen zur Sicherung des Frühfranzösischen in der Primarschule. Und auch in den Bildungskommissionen der Kantone tummeln sich Experten, die nur dank dem Stärkeverhältnis der Parteien dort gelandet sind. Es scheint, als ob die Baselbieter Landräte, aufgerüttelt duch engagierte Lehrervereinigungen, endlich aktiv werden und Verantwortung für die Volksschule übernehmen wollen. (uk)




Sieger der Stunde: Landrat Jürg Wiedemann (Grüne) brachte zwei Parlamentarische Initiativen durch. Bild: Moira Mangione

Lehrplan 21: Jetzt redet der Landrat mit, Basler Zeitung, 3.10. von Thomas Dähler


Rückschlag für die Anhänger des Lehrplans 21: Der Baselbieter Landrat hat gestern in Liestal mit grosser Mehrheit und gegen den Willen der Regierung zwei Parlamentarische Initiativen überwiesen, mit denen sich der Rat die Mitsprache bei der Einführung des Lehrplans der Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz im Baselbiet sichert. Damit sind die Einführung des neuen Lehrplans und die Inkraftsetzung der neuen Stundentafel mindestens bis zum definitiven Entscheid über die beiden Parlamentarischen Initiativen blockiert. Fürs Erste wird sich jetzt die Bildungs-, Kultur- und Sportkommission mit dem Lehrplan 21 befassen.
Der Parlamentarier, der die Diskussion über den Lehrplan 21 ins Parlament getragen hat, ist gestern mit Hemd und Krawatte im Rat erschienen. Für einen Grünen wie Jürg Wiedemann ist dies nicht alltäglich. Nicht alltäglich ist aber auch, dass ein Landrat gleich zwei Parlamentarische Initiativen im Rat durchbringt und damit dem Bildungs­direktor die Federführung über das Dossier entzieht. Zumindest vorerst: Die Absicht, den Lehrplan über einen eiligen Entscheid des Bildungsrats einzuführen, ist jetzt nicht mehr opportun.
«Neue Sammelfächer führen zu Bildungs­abbau»
Bereits zu Beginn der Landratssitzung entbrannte eine Diskussion um die Absetzung der beiden Initiativen von der Traktandenliste. Sie scheiterte an der Geschäftsordnung, die dies verbietet. In der Debatte um die Initiativen wehrten sich die Sozialdemokraten zusammen mit ihrem Bildungsdirektor gegen die Einmischung des Landrats. Der Lehrplan 21 sei zu wichtig, als dass er allein den Experten überlassen werden könne, lautete das Hauptargument für die Initiative Nummer eins, die den Entscheid über den Lehrplan 21 und dessen Einführung dem Parlament überträgt.
«Die neuen Sammelfächer führen zu einem Bildungs­abbau», argumentierte Wiedemann zugunsten der Initiative Nummer zwei, mit der Einzelfächer wie Geschichte, Geografie oder Biologie im Gesetz festgeschrieben werden sollen. Bei beiden Initiativen wird der Landrat nach der Behandlung durch die Kommission den abschliessenden Entscheid fällen. Schon jetzt ist aber klar, dass es bei einem Ja im Landrat zu einer Volksabstimmung kommen wird, denn die Sozialdemokraten dürften das Quorum dafür zusammenbringen.
Mitte-Parteien nicht einig
In der Sache fielen gestern im Rat harte Worte zum bisherigen Verlauf der Lehrplan-Debatte. Paul Wenger (SVP) sagte: «Wir wollen keine Volksschule, bei der das Volk nicht mitreden kann.» Und Michael Herrmann (FDP) kritisierte, dass der Lehrplan 21 nur von Experten im stillen Kämmerlein diskutiert wurde: «Damit schafft man kein Vertrauen.» Monica Gschwind (FDP) warf dem Bildungsdirektor vor, er wolle sich hinter dem Bildungsrat verstecken.
Dagegen wehrte sich Christoph Hänggi (SP). Die Kompetenzabtretung an den Landrat sei nicht durchdacht. «Soll in Zukunft bei jeder Lehrplan­änderung der Landrat mitreden?», fragte er. Regula Meschberger, die den Lehrplan 21 «nicht revolutionär» findet, meinte, es sei seltsam, dass sich der Landrat eine Entscheidungskompetenz holen wolle, die das Volk dem Parlament nicht habe übertragen wollen.
Die Mitte-Parteien waren sich in der Frage nicht einig, stimmten schliesslich aber mehrheitlich zu. Die Grünen stellten sich hinter ihren Fraktionskollegen Wiedemann, behielten sich aber vor, nach der Beratung in der Kommission später eventuell anders zu entscheiden.
Lehrerausbildung ungelöst
Bei der Debatte über die Einführung der Sammelfächer verliefen die Fronten ähnlich. Sabrina Corvini (CVP) wies zusätzlich darauf hin, dass bei der Einführung der neuen Fächer auch die ungelösten Fragen um die Ausbildung der Lehrkräfte und die Entscheide der Nachbarkantone eine Rolle spielten.
Regierungsrat Urs Wüthrich wehrte sich vergeblich gegen die beiden Initiativen und warf der Mehrheit im Rat vor, den Volksentscheid von 2010 zu umgehen. Vergeblich: Mit 55 zu 28 und 56 zu 27 stimmte der Rat den beiden Initiativen zu. Diskussionslos überwiesen wurde eine Petition, mit der die allfällige Einführung von Sammelfächern an hohe Qualitätskriterien gebunden werden soll.


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