Es herrscht weiterhin Unklarheit über die Art von Selektion. Bild: Uli Olschewski
"Man kann schon heute förderorientiert selektionieren", Bund, 17.7. von Samual Thomi
Statt
nur Grammatik und Wörtli zu büffeln, sollen Berner Schüler die französische
Sprache in all ihren Facetten erlernen. Um dies zu prüfen, können Lehrkräfte
jedoch nicht mehr nur Noten verteilen, sondern müssen auch individuelle
Lernfortschritte der Kinder beurteilen. An der Oberstufe Bremgarten führt dies
zu Verunsicherung. Aktuell geht das so weit, dass die Lehrkräfte den Eltern
einen Brief geschrieben haben, um darzulegen, dass der neue, kompetenzorientierte
Französischunterricht schlecht vereinbar sei mit der in einem Jahr anstehenden Selektion für den Übertritt in die Sekundarschule.
Näf rät: «Selektion verweigern»
«Wären die Lehrerinnen
und Lehrer konsequent, würden sie die Selektion schlicht verweigern»,
kommentiert Roland Näf, SP-Grossrat aus Gümligen und Co-Schulleiter. Denn das
vom Lehrplan 21 skizzierte moderne Bildungssystem und die Selektion seien
«absolut unkompatibel». Erst recht bei den aktuell schwierigen
Betreuungsverhältnissen an den Schulen: «Will man die individuellen
Lernfortschritte der Schülerinnen und Schüler seriös testen, bringt das einen
viel grösseren Aufwand mit sich.» Mit dem neuen Lehrplan Passepartout und dem
dazugehörigen neuen Lehrmittel «Mille Feuilles» fehlten zudem die Grundlagen,
um überhaupt kompetenzorientiert zu prüfen. So prüften die Lehrkräfte eben wie
bisher Wörtli und Grammatik, was völlig sinnlos sei. Darum fordert
Bildungspolitiker Näf: «Will die Gesellschaft an der Selektion festhalten, soll
sie diese auch selber vornehmen und nicht an die Lehrkräfte delegieren.»
Nicht ganz so dramatisch
sieht die Situation Corinne Schmidhauser. Auch wenn die Vizepräsidentin der
Bildungskommission (BIK) und FDP-Grossrätin das Problem «keinesfalls
herunterspielen» will: «Die BIK wird sicher ein Auge darauf haben und demnächst
bei einem Treffen mit der Erziehungsdirektion Fragen stellen, ob der Kanton
genügend auf die neue Situation vorbereitet ist.» Ansonsten bleibe fast nur
abzuwarten, wie die ersten Übertritte nach neuem Lehrplan und Lehrmittel in
einem Jahr verlaufen werden.
Schmidhauser: «Etwas irritierend»
Dann wird
Bildungspolitikerin Schmidhauser grundsätzlicher: «Etwas irritierend ist es
schon, wenn man findet, die förderorientierte Selektion falle einfach so vom
Himmel.» Am Ende der Schulzeit würden die Schülerinnen und Schüler ohnehin
verglichen respektive erwarte die Wirtschaft ein gewisses Niveau. Komme hinzu,
dass Übertrittsentscheide bereits heute nicht nur aufgrund von Noten gefällt
würden; vielmehr dürfen bei unterschiedlicher Einschätzung Lehrkräfte wie
Eltern ihre Meinung zu Sek-Kandidaten abgeben und werden beim Gymer-Übertritt
die vier Fächer mit gleich vielen Betragensnoten ergänzt. «So kann man schon
heute stark förderorientiert selektionieren.»
Ins selbe Horn bläst
Grossrat Daniel Steiner-Brütsch (EVP, Langenthal): «Ich verstehe den Brief in
Bremgarten auch als Appell an den Kanton, den Lehrkräften mehr und geeignete
Instrumente zur Verfügung zu stellen, um diesen schwierigen und umfangreichen
Selektionsentscheid seriös treffen zu können.» Dabei dürfe nicht vergessen
werden, dass die Schule seit je den Spagat machen müsse, Kinder individuell zu
fördern und dem gesellschaftlichen Anspruch nach Selektion nachzukommen:
«Diesem Dilemma zwischen Fördern und Auslesen müssen sich die Lehrpersonen
jedoch stellen.»
Auch national ein Thema
Die Frage nach dem
Beurteilungssystem stellt sich übrigens nicht nur im Kanton Bern, sondern ist
mit dem Lehrplan 21, der in dieselbe Richtung zielt wie der aktuelle Berner
Fremdsprachenlehrplan Passepartout, auch national ein Thema. Der Dachverband
der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) forderte beispielsweise im April eine
Arbeitsgruppe, die Kriterien definiert, wie in den Kantonen Kompetenzen
einheitlich beurteilt und in den Zeugnissen ausgewiesen werden sollen.
LCH-Präsident Beat W. Zemp: «Bis der Lehrplan 21 kommt, müssen diese Fragen auf
jeden Fall geklärt sein.»
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