Kinder lernen und arbeiten in verschiedenen Tempi. Man kann die Schnellen warten lassen, bis die Langsamen aufgeholt haben. Machen Letztgenannte dies ausschliesslich in normalen Schulstunden, müssen die Schnellen in dieser Zeit anderweitig, z. B. mit Zusatzaufgaben, beschäftigt werden, um nicht gebremst zu werden. Die Langsamen können aber da wieder nicht mithalten, was einmal mehr zeigt: Man kann es drehen und biegen wie auch immer, eine komplette Chancengleichheit wird niemals erreicht. Auf diese Weise lassen sich zwar Hausaufgaben vermeiden, doch die schwächeren Kinder werden benachteiligt. Statt sich in einer nächsten Lektion mit neuem Stoff befassen zu können, müssen sie dann zuerst die Restanzen erledigen, während die Besseren in ihrem Allgemeinwissen flott vorankommen. Das befriedigt nicht. Die Hausaufgaben haben deshalb durchaus ihren Sinn; dank ihnen kann die Klasse auch bei eher individuellem Unterricht wieder einigermassen gemeinsam weiterfahren. Selbstverständlich muss dabei jenen Kindern geholfen werden, welche zu Hause in für Schularbeiten ungeeigneten Verhältnissen leben. Wenn die Eltern ihrem Nachwuchs nicht wenn nötig beistehen können, sind unbedingt Aufgabenhilfen oder -stunden oder ähnliche Unterstützungsmöglichkeiten zu schaffen.
NZZ, 25.1. Leserbrief von Hans-Peter Köhli