Dass wirklich, wie Beat Zemp meint, den angeblich nicht zeitgemässen
Löhnen die Hauptschuld für den Lehrermangel zugeschoben werden kann, wage ich
zu bezweifeln («Gesucht: Männer für die Schulzimmer», NZZ 21. 8. 18). Die
Situation bei der nötigen Anzahl von Lehrkräften änderte sich schon oft: bald
zu wenig, bald zu viel, Ursachen wechselnd. Heute aber stehen wir vor einer
entscheidenden Entwicklung. Der Lehrerberuf ist im Begriffe, massiv abgewertet
zu werden. Bis anhin konnte eine Lehrperson vor einer Klasse stehen, sie genoss
grosse Methodenfreiheit, leitete die Geschicke der Gemeinschaft in
interessanten Klassengesprächen, wurde von administrativem Krimskrams
weitgehend verschont und war gleichberechtigtes Mitglied in einem
Schulhausteam, in dem es keinen Chef gab. Punkto Arbeitszeit wurde ihr grosses
Vertrauen entgegengebracht, was manche Lehrkräfte dadurch dankten, dass sie
zugunsten von mannigfaltigen schulischen Aktivitäten gerne auch Freizeit
opferten.
NZZ, 29.8. Leserbrief von Hans-Peter Köhli
Heute hat eine Lehrperson nach Lehrplan 21 zu unterrichten, die
Methodenfreiheit ist nur noch Theorie, die Devise lautet: je weniger
Frontalunterricht, desto besser, lediglich noch quasi als Coach an der
Seitenlinie leitet sie die Kinder an, welche – eine Illusion –
«selbstorganisiert» lernen sollten. Bürokratie und Administration sind rasant
gewachsen, und wie in einer Privatfirma befiehlt ein Boss, wo’s lang geht.
Belastend finden viele Lehrpersonen auch, dass nun mit zusätzlichem Aufwand
über die Arbeitszeit peinlich genau Buch geführt werden muss, was im Endeffekt
überhaupt nichts bringt. Dieser Paradigmenwechsel bleibt natürlich nicht
verborgen. Man begreift, dass junge Leute und potenzielle Quereinsteiger die
Nase rümpfen. Mit ihrem massiven Umbau der Schullandschaft haben die
Bildungsverantwortlichen weit über das Ziel hinausgeschossen.
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