Der radikale Umbau der KV-Ausbildung mit dem Projekt «Kaufleute 2022» könnte ein chwerer Schlag für die bisher weltweit erfolgreiche Schweizer Berufsausbildung werden, wenn die sogenannte «Kompetenzorientierung» mit dem «selbstgesteuerten Lernen» (SOL), wie wir sie vom umstrittenen Lehrplan 21 kennen, auch in anderen Berufen «Schule machen» sollte.
KV-Reform 2022 - Berufsausbildung wird fachlich ausgehöhlt, 12.4. von Peter Aebersold
Hinter verschlossenen Türen wird schon
seit längerer Zeit an der KV-Reform 2022 gearbeitet, selbst die dortigen Lehrer
erfahren kaum etwas. Die KV-Lehrkräfte können bei der Reform auch nicht
mitreden; verschiedene Zürcher KV-Schulen sollen ihnen einen Maulkorb verpasst
haben, damit sie sich nicht kritisch zum Projekt «Kaufleute 2022» äussern
können. Was trotzdem durchsickert, gibt zu ernsthaften Bedenken Anlass. Die
Reform «Kaufleute 2022» soll KV-Abgänger angeblich «Fit für die Zukunft»
machen.
Nonverbale
Signale und Small Talk statt Fachwissen
Die
Promotoren der Reform wollen «kein Wissen auf Vorrat» mehr vermitteln. Fachkompetenz sei nicht mehr in erster Linie gefragt. Statt eines breiten,
kaufmännischen Fundaments sollen neu Handlungskompetenzen aufgebaut werden. Damit ist zum
Beispiel gemeint, dass die Lernenden ein «persönliches Netzwerk aufbauen» oder «nonverbale
Signale interpretieren» können müssen. Sogar «Small Talk» ist ein Lernziel. Der
KV-Lehrling schlüpfe in die Rolle eines «agilen Vermittlers», was immer das
sein soll. Deshalb sollen sie anstelle der bisherigen klassischen Fächer,
diffuse «Handlungskompetenzen» wie «Handeln in agilen Arbeits- und
Organisationsformen» oder «Interagieren in einem vernetzten Arbeitsumfeld»
erwerben.
Abbau von Grundlagenfächern
Entsprechend
ist der Bildungsplanentwurf aufgebaut: Rechnungswesen (Buchhaltung) oder
Volkswirtschaftslehre würden nur noch marginal behandelt, die Aktiengesellschaft
wäre kein Lernziel mehr. Das Fach Deutsch gibt es nicht mehr. Überhaupt werden
Fächer abgeschafft und durch schwammige Handlungsfelder ersetzt. Das Fach
Französisch sollte ein Freifach werden. Im Bereich Informatik geht es vor allem
um Anwendungen. Hauptfächer wie Buchhaltung
sollen abgewählt werden können. KV-Lehrer befürchten deswegen einen massiven
Abbau von Grundlagenwissen und Fachkompetenzen.
Wie
diese «Lernziele» konkret erreicht werden sollen, ist unklar. Die Schulen
wurden bei der Ausarbeitung des Bildungsplans weitgehend aussen vor gelassen.
Zwar wurden nachträglich ein paar Kommissionen mit Lehrpersonen eingesetzt,
erste Sitzungen seien aber einigermassen enttäuschend verlaufen. Obwohl die
Reform, wenn sie so kommt, massive Veränderungen für die Lehrpersonen brächte,
wurden und werden diese nur wenig in den Reformprozess einbezogen.
Lehrbetriebe müssten Lehrlinge auch in
allgemeinen Fächern ausbilden
Das bedeutet, dass die Lehrbetriebe ihre
Lehrlinge in nicht gewählten oder abgeschafften Fächern selber ausbilden
müssten. Die Hauptfächer bilden die unerlässlichen Grundkompetenzen im
kaufmännischen Beruf, auf die kein Betrieb verzichten kann. Speziell die KMUs
sind auf die KV-Allrounder-Kenntnisse (Buchhaltung, Deutschkorrespondenz usw.)
angewiesen, weil sie sich nicht teure Spezialisten für jedes Gebiet leisten
können.
Auswirkungen
auf den Arbeitsmarkt
Ob
dieser so reformierte Unterricht – für Lehrlinge, Handelslehrer oder Germanisten
– noch attraktiv ist, wird man sehen. Leistungsstarke Lehrlinge können auch ans
Gymnasium gehen oder einen anderen Beruf beispielsweise Mediamatiker ergreifen.
Gut ausgebildete Kaufmännische Angestellte dürften dann auf dem Arbeitsmarkt
nur noch schwer zu finden sein. Unserer
Jugend droht mit der Schmalspurausbildung höhere Arbeitslosigkeit und den
Firmen eine tiefere Wertschöpfung.
À-la-carte-Ausbildung würde Kaufmännische Lehre
unattraktiv machen
Die kaufmännische Lehre ist mit Abstand
die beliebteste Berufslehre der Schweiz. Über 13 000 Jugendliche starteten 2019
eine Ausbildung in einer der 21 KV-Branchen. Jetzt soll ausgerechnet diese
erfolgreiche Berufslehre mit der Radikalreform «Kaufleute 2022» total umgebaut
werden. Mit düsteren Zukunftsszenarien wie die angeblich durch Digitalisierung
gefährdeten 100 000 Bürostellen soll der Boden für diese Radikalreform
vorbereitet werden. So etwas wurde schon in den Anfängen der Digitalisierung
mit dem sogenannten «papierlosen Büro» prophezeit, was dann im Gegenteil zur
heutigen gewaltigen Papierflut geführt hat. Mit der geplanten
À-la-carte-Ausbildung wird das bisher allgemein anerkannte Eidgenössische
Fähigkeitszeugnis zu einem wertlosen Stück Papier. Damit sehen nicht nur die
Lehrpersonen schwarz für die Zukunft. Jetzt wäre es noch Zeit für Gewerbe und
KMUs Einfluss auf die Reform zu nehmen, ist die Reform einmal eingeführt, lässt
sie sich kaum mehr aufhalten.
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