9. Mai 2016

Sit-in gegen Disziplinprobleme

Schweizer Lehrer gehen neue Wege, um auf das schwierige Verhalten von Schülern zu reagieren: Bei grösseren Problemen veranstalten sie in der Schule Sit-ins. Während dieser Sitzstreiks warten sie darauf, dass die Schüler, die Probleme machen, zur Einsicht kommen.
Formularende
Angewandt wird dieses Konzept der «neuen Autorität» beispielsweise im Stadtzürcher Schulkreis Glattal. Deren Präsidentin Vera Lang (FDP) berichtete letze Woche in einem vielbeachteten Vortrag vor Luzerner Lehrern über den Erfolg der Methode, wie die «Zentralschweiz am Sonntag» berichtet. Auch mehrere Luzerner Schulen arbeiten bereits nach diesem Ansatz, und es gibt entsprechende Weiterbildungskurse.
Haim Omer: Neue Autorität, Quelle: You Tube
Lehrer-Sitzstreiks gegen renitente Schüler, 20 Minuten, 9.5.


Sit-in nach Schmiererei im Kerzenziehen
Lang präsentierte ein konkretes Beispiel für ein solches Sit-in: Eine Gruppe Schüler habe beim Kerzenziehen mit einem wasserfesten Filzstift eine Tafel verunstaltet, was zu zahlreichen Beschwerden geführt habe, berichtete sie.

Gegen den Vandalenakt habe man interveniert, indem der ganze Schuljahrgang in der Aula zusammengerufen worden sei – ebenso sämtliche Lehrer. Daraufhin habe die Schulpräsidentin geschildert, was passiert sei – und die Verantwortlichen aufgefordert, sich zu melden und einen Vorschlag zur Wiedergutmachen zu machen.

Beim zweiten Sitzstreik gaben die Übeltäter auf
Anfangs war dies laut Lang vergeblich: Es herrschte eine Viertelstunde lang Stille, worauf sie die Versammlung abbrach und die Anwesenden aufforderte, sich am nächsten Tag wieder einzufinden.

Am darauffolgenden Tag erschienen auch Eltern, um der Forderung «schweigend Nachdruck zu verleihen». Irgendwann gaben die Täter dann auf: Sie boten an, einen Nachmittag im Hausdienst mitzuarbeiten.

Gewaltloser Widerstand wie bei Gandhi
Entwickelt wurde das Konzept der «neuen Autorität», das nun in der Schweiz Schule macht, vom israelischen Psychologie-Professor Haim Omer. Dieser beruft sich dabei auf den gewaltlosen Widerstand, wie ihn der indische Pazifist Mahatma Gandhi praktiziert hat.
Schulpflegepräsidentin Lang sagt, die Integration von verhaltensauffälligen Schülern sei die grösste Herausforderung an den Schulen. «Kinder, die ‹blöd tun›, Eltern die sich beschweren. Strafen, die wirkungslos bleiben – bis das Fass überläuft», beschreibt sie die Situation laut «Zentralschweiz am Sonntag». Das Ziel müsse daher nicht sein, «einen Kampf zu gewinnen, sondern mit gewaltlosem Widerstand die Eskalation zu durchbrechen».

Auf einen konstruktiven Vorschlag des Kindes warten
Psychologieprofessor Omer legt seine Methoden, die nun auch in Schweizer Klassenzimmern angewandt werden, auch den Eltern ans Herz: Sie sollen auch im Kinderzimmer Sit-ins einberufen, wenn es mit dem Nachwuchs Schwierigkeiten gibt.
Omer erklärte dies in einem Interview mit dem «St. Galler Tagblatt» so: «Es geht darum, dem Kind Zeit zu geben, selber eine Lösung zu finden. Die Eltern setzen sich also in einem ruhigen Moment zum Kind – ohne zu schimpfen, ohne zu predigen – tragen vor, was sie stört und warten bis zu einer Stunde auf einen konstruktiven Vorschlag des Kindes.»


2 Kommentare:

  1. Und was, wenn so ein Sit-in auch nach etlichen Viertelstunden nicht dazu führt, dass sich jemand meldet? Was, wenn im Kinderzimmer das Kind dann versucht, aus dem Zimmer zu gehen oder aus dem Fenster zu springen als Drohung gegen die Eltern? Das sind echte Fragen, die ich gerne erst beantwortet hätte, bevor man so ein Konzept ausprobiert.

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    1. Warum Einzelfälle nehmen und nicht erst einmal die 95% erreichen die erreichbar sind. Jedes Kind möchte dazugehören und solche Vorgehen zeigen Wege auf. Auch Haim Omer betont, dass es kein Allerheilmittel ist. Ich erlebe leider oft, dass Kritiker das Konzept lediglich kurz durchlesen und sofort reflexartig aufbegehren. Ich empfehle das Interview von Haim Omer mit Dirk Rohr. Es ist auch wichtig, dass Eltern und Lehrer nicht mehr einsame Kämpfer oder nich schlimmer, Machthaber des Klassenzimmers sind. Vernetzung und die Erlaubnis Unterstützung zu erfahren, für Kinder zu erleben, dass sie ernst genommen werden, im Gute wie im weniger Guten, das ist nur von Vorteil. Und dann, in einem solchen System an einer Schule, kommt es ganz sicher zumindest weniger zu extremen Situationen.

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