Es ist gar noch nicht so lange her, da sonderte man Menschen mit
Handicaps aus dem Leben aus und machte sie für die Gesellschaft quasi unsichtbar.
In den 80ern des letzten Jahrhunderts wurden sie endlich eingegliedert. Eine
ganze Betreuungsindustrie kümmerte sich nun plötzlich um sie.
Eingliederungsstätten, Ausbildungsheime und Wohnzentren führten allerdings in
der Praxis eher zu einer industriell perfektionierten Aussonderung statt zur
«Eingliederung».
Es braucht wieder Kleinklassen, Sonntagszeitung, 28.4. von Arthur Rutishauser
Dann bekam 2004 das Ziel der Integration mit dem
Behindertengleichstellungsgesetz endlich eine praktische Bedeutung. Das Gesetz
«hat zum Zweck, Benachteiligungen zu verhindern, zu verringern oder zu
beseitigen, denen Menschen mit Behinderungen ausgesetzt sind». Das hat im
öffentlichen Verkehr dazu geführt, dass die Schwellen und Treppen beim Einstieg
endlich abgeschafft wurden, wofür heute auch Eltern dankbar sein dürften, wenn
sie ihren Kinderwagen ins Tram schieben.
Eine Störung der «emotionalen und sozialen» Entwicklung
Aber das Gesetz geht noch viel weiter, als dass es einige bauliche
Selbstverständlichkeiten zur Vorschrift macht – es gilt auch für die Aus- und
Weiterbildung. Die Idee schien bestechend: Wenn man bei den Kindern anfängt,
dann ist das Problem in spätestens einer Generation vom Tisch und «Inklusion»
statt «Exklusion» ist die neue Realität. Nur, wie so oft, es wurde komplizierter
als gedacht. In den Schulen fiel die Umsetzung des Gesetzes zusammen mit einer
Vielzahl von Reformen, die die Chancengleichheit erhöhen und die Ausgrenzung
von schwachen Schülern eliminieren wollten.
Jeder Kanton, ja mancherorts jede Gemeinde, erfand dazu sein eigenes
System. Aber alle landeten bei demselben Problem: Zehntausende Schüler mit
sonderpädagogischem Förderbedarf sollten integriert werden. Die wenigsten von
ihnen sitzen im Rollstuhl, sondern sie sind verhaltensauffällig, haben also
eine Störung der «emotionalen und sozialen» Entwicklung, wie es so schön bürokratisch
verharmlosend heisst. Im Klartext: Sie stören im Unterricht, sei es nun bei den
Kleinen oder bei den Grossen.
Und darum entsteht die nächste Betreuungsindustrie, jene für die
verhaltensauffälligen Schüler. Diese brauchen ein Sondersetting, bestehend aus
unzähligen Sitzungen mit Schulpsychologen, Schulsozialarbeitern, Fachleuten für
Gewaltprävention, Heilpädagogen und natürlich Lehrern, Schulvorstehern und
Eltern. Das ist ein höchst ineffizienter, oft ideologisch begründeter Leerlauf,
fern vom gesunden Menschenverstand. Es braucht hier einen Schritt zurück, und
es müssen wieder mehr Kleinklassen für verhaltensauffällige Kinder geschaffen
werden. Das nützt allen, auch den Schülern der Regelklassen, die auf einen
guten Unterricht angewiesen sind.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen