Als Stefan Urech am Mittwochmorgen um 6 Uhr im Zug nach Mettmenstetten sass, entschied er sich spontan, das Programm seiner ersten Lektion über den Haufen zu werfen. Der Sekundarlehrer vertritt die SVP im Zürcher Gemeinderat, und da sollte am Abend ein Postulat behandelt werden, das ihn besonders umtrieb.
Schülerinnen und Schüler sollen länger im Bett bleiben dürfen, Tages Anzeiger, 23.4. von Corsin Zander
Darin fordern die beiden AL-Gemeinderäte Patrik Maillard und
David Garcia Nuñez, den Start der ersten Morgenlektion in der Sek von 7.30 Uhr
auf 8.20 Uhr zu verschieben. Zumindest soll der Stadtrat dazu ein evaluiertes
Pilotprojekt lancieren. «Jede Faser in meinem Körper war heute Morgen
begeistert über diesen Vorschlag, als ich müde im Zug sass», erzählte Urech am
Abend im Parlament.
Studien sprechen für eine Verschiebung
Statt Deutsch zu unterrichten, diskutierte er mit seinen
Schülerinnen und Schülern also das Postulat. Zwar reagierten sie erst
begeistert, doch dann kam schon bald ein entscheidendes Argument auf: Wenn die
Schule später beginnt, dauert sie am Nachmittag auch länger. Den Text-
änderungsantrag eines Schülers, der vorsah, die Morgenstunde ersatzlos zu
streichen, lehnte Lehrer Urech ab.
Und so war das Verdikt seiner Schulklasse am Ende klar: Dem
Postulat stimmten lediglich noch 3 Personen zu. 15 Schülerinnen und Schülern
waren gegen die Verschiebung. Ihnen sei es wichtiger, am Abend früher nach
Hause zu können und noch Zeit zu haben für das Training, für Musik oder Freunde
ausserhalb der Schule.
David Garcia Nuñez verteidigte sein Anliegen mit Argumenten,
die man sonst eher im Hörsaal hört, aber auch bereits in zahlreichen
Zeitungsartikeln lesen konnte: Verschiedene Studien zeigen, dass Hormone in der
Pubertät das zentrale Nervensystem ändern und dass sich der Schlafrhythmus
dadurch nach hinten verschiebt.
In den USA setzte eine Schule 2016 den Schulbeginn eine
knappe Stunde später an. Die Schüler gingen dort 10 Minuten später ins Bett,
schliefen aber im Schnitt 44 Minuten länger. Das war nicht nur gut für ihre
Gesundheit und das psychische Wohlbefinden, sondern sie steigerten ihre
geistige Leistungsfähigkeit signifikant.
Bessere Gegenargumente als Urechs Schülerinnen und Schüler
brachten auch die Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Gemeinderat nicht
vor. Fast alle betonten, wie sehr es dem Freizeitprogramm der Kinder und ihrer
Familien am Abend schaden würde, wenn der Unterricht länger dauern würde.
Klare Zustimmung im Gemeinderat
Balz Bürgisser von den Grünen sprach gar vom «Todesstoss für
das fakultative Angebot der Schulen», das nach Schulschluss stattfindet. Er
wies darauf hin, dass der Unterricht an heissen Sommernachmittagen auch nicht
einfacher würde. Als beinahe Einziger brachte er aber konkrete
Lösungsvorschläge: Er forderte, die Mittagspause auf der Sekundarstufe auf 60
bis 80 Minuten zu begrenzen und den Unterrichtsbeginn auch schon auf 8 Uhr anzusetzen,
was immer- hin noch eine halbe Stunde später wäre.
Die wissenschaftlichen Argumente verfingen im Stadtparlament
besser als jene von Urechs Schulklasse, und so stimmte der Rat am Schluss mit
102 zu 17 Stimmen für das Pilotprojekt. Darin müssten die Schülerinnen und
Schüler aber eingebunden werden, forderte SP-Gemeinderätin Ursula Näf noch.
Wie das Pilotprojekt ausgestaltet, wo es durchgeführt und
wer es wissenschaftlich begleiten wird, muss nun der Stadtrat entscheiden.
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