23. April 2021

Stadt Zürich bewilligt Projekt für späteren Schulbeginn am Morgen

Als Stefan Urech am Mittwochmorgen um 6 Uhr im Zug nach Mettmenstetten sass, entschied er sich spontan, das Programm seiner ersten Lektion über den Haufen zu werfen. Der Sekundarlehrer vertritt die SVP im Zürcher Gemeinderat, und da sollte am Abend ein Postulat behandelt werden, das ihn besonders umtrieb.

Schülerinnen und Schüler sollen länger im Bett bleiben dürfen, Tages Anzeiger, 23.4. von Corsin Zander

Darin fordern die beiden AL-Gemeinderäte Patrik Maillard und David Garcia Nuñez, den Start der ersten Morgenlektion in der Sek von 7.30 Uhr auf 8.20 Uhr zu verschieben. Zumindest soll der Stadtrat dazu ein evaluiertes Pilotprojekt lancieren. «Jede Faser in meinem Körper war heute Morgen begeistert über diesen Vorschlag, als ich müde im Zug sass», erzählte Urech am Abend im Parlament.

Studien sprechen für eine Verschiebung

Statt Deutsch zu unterrichten, diskutierte er mit seinen Schülerinnen und Schülern also das Postulat. Zwar reagierten sie erst begeistert, doch dann kam schon bald ein entscheidendes Argument auf: Wenn die Schule später beginnt, dauert sie am Nachmittag auch länger. Den Text- änderungsantrag eines Schülers, der vorsah, die Morgenstunde ersatzlos zu streichen, lehnte Lehrer Urech ab. 

Und so war das Verdikt seiner Schulklasse am Ende klar: Dem Postulat stimmten lediglich noch 3 Personen zu. 15 Schülerinnen und Schülern waren gegen die Verschiebung. Ihnen sei es wichtiger, am Abend früher nach Hause zu können und noch Zeit zu haben für das Training, für Musik oder Freunde ausserhalb der Schule.

David Garcia Nuñez verteidigte sein Anliegen mit Argumenten, die man sonst eher im Hörsaal hört, aber auch bereits in zahlreichen Zeitungsartikeln lesen konnte: Verschiedene Studien zeigen, dass Hormone in der Pubertät das zentrale Nervensystem ändern und dass sich der Schlafrhythmus dadurch nach hinten verschiebt. 

In den USA setzte eine Schule 2016 den Schulbeginn eine knappe Stunde später an. Die Schüler gingen dort 10 Minuten später ins Bett, schliefen aber im Schnitt 44 Minuten länger. Das war nicht nur gut für ihre Gesundheit und das psychische Wohlbefinden, sondern sie steigerten ihre geistige Leistungsfähigkeit signifikant.

Bessere Gegenargumente als Urechs Schülerinnen und Schüler brachten auch die Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Gemeinderat nicht vor. Fast alle betonten, wie sehr es dem Freizeitprogramm der Kinder und ihrer Familien am Abend schaden würde, wenn der Unterricht länger dauern würde. 

Klare Zustimmung im Gemeinderat

Balz Bürgisser von den Grünen sprach gar vom «Todesstoss für das fakultative Angebot der Schulen», das nach Schulschluss stattfindet. Er wies darauf hin, dass der Unterricht an heissen Sommernachmittagen auch nicht einfacher würde. Als beinahe Einziger brachte er aber konkrete Lösungsvorschläge: Er forderte, die Mittagspause auf der Sekundarstufe auf 60 bis 80 Minuten zu begrenzen und den Unterrichtsbeginn auch schon auf 8 Uhr anzusetzen, was immer- hin noch eine halbe Stunde später wäre.

Die wissenschaftlichen Argumente verfingen im Stadtparlament besser als jene von Urechs Schulklasse, und so stimmte der Rat am Schluss mit 102 zu 17 Stimmen für das Pilotprojekt. Darin müssten die Schülerinnen und Schüler aber eingebunden werden, forderte SP-Gemeinderätin Ursula Näf noch.

Wie das Pilotprojekt ausgestaltet, wo es durchgeführt und wer es wissenschaftlich begleiten wird, muss nun der Stadtrat entscheiden.

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